Einst besass die Gemeinde Ägeri reiche, grosse Ländereien, so unter anderem auch eine riesige Allmend, welche sich tief in den Bezirk Wollerau im Kanton Schwyz hineinerstreckte. Diese Allmend wurde von den Bewohnern der Gemeinde Wollerau für sich in Anspruch genommen, sie sei nur durch unredliche Mittel in den Besitz von Ägeri übergegangen.
In urgrauen Tagen gab es noch keine trennenden Grenzsteine; die Menschen trauten einander in fester Treu und gutem Glauben. Da brach einst die furchtbare Pest in unsern Landen aus, der schwarze Tod forderte viele, viele Opfer. Trotz dieser grässlichen Gottesgeissel ergaben sich viele Leute der Genusssucht, dem Tanz und Spiel, und als die Pest wieder wich, sprach bald niemand mehr von der furchtbaren Seuche. Alles lebte voller Freude in den Tag hinein.
In dieser Zeit trieben nun die Bauern von Ägeri ihr Vieh weit ins Land der Wollerauer zur Weide. Darob entbrannte heftiger Streit und es kam zu langwierigen Gerichten. Allein, die Bewohner von Wollerau konnten keine alten Zeugen aufbringen, denn der schwarze Tod hatte alle Betagten dahingerafft, und so konnte niemand von ihnen mit voller Bestimmtheit sagen, wo die Grenze gewesen sei. Doch eine Grenze solle nun festgelegt werden und zu diesem Zwecke verabredete man einen Grenzlauf. Als am bestimmten Tag die Sonne aufstund, erhoben sich zwei Läufer zum Wettlauf. Der Wollerauer aber erreichte justament den Anfang der Allmend, als der Ägerer schon vor ihm stand. In genau der gleichen Zeit hatte er den dreifachen Weg zurückgelegt. Dieses Kunststück fiel auf und die Bewohner von Wollerau behaupteten steif und fest, dass Betrug vorliegen müsse. Der Läufer von Ägeri anerbot sich zum Eidschwur. Am Ort des Zusammentreffens leistete er den Schwur: "So wahr mein Schöpfer und Richter über mir ist, so wahr stehe ich auf Grund und Boden von Ägeri". Nun wurde der Boden der Allmend der Gemeinde Ägeri zugesprochen und der Grenzstein in die Erde eingelassen. Wollerau vergass aber diesen Schwur des Läufers nie und glaubte stets an einen Betrug.
Nach einem kurzen Jahr starb der Läufer von Ägeri und man sah nun seinen Geist über die Allmend wandern. Er ritt meist auf einem behenden Schimmel. Wenn er sich der Grenze näherte, begann er wild zu schreien und fürchterlich zu heulen. Kam ein Wanderer in der Nacht über seinen Weg, flehte er um Erlösung an, verweigerte aber stets eine Auskunft, wie man ihn erlösen könne. Bewohner von Ägeri belästigte er auf unbändige Art und Weise und verfolgte sie auf Schritt und Tritt. In dieser argen Not wandten sie sich an einen Geisterverbanner und versprachen ihm ein grosses Stück Geld, so er sie von dem bösen Geist befreie. Unerschrocken stellte dieser den dunklen Reiter und liess ihn nicht frei, sondern zwang ihn, sein Geheimnis preiszugeben. Und so erfuhr er nun den Grund des nächtlichen Treibens.
Als der Läufer von Ägeri zum Wettlauf angetreten sei, habe er die Zeugen getäuscht. Zuerst sei er wohl zu Fuss aufgebrochen, habe aber dann einen Schimmel benützt und sei erst nahe der Grenze abgestiegen. Dort hätte er das Reittier versteckt. Auch beim Schwur sei ein gewaltiger Betrug vorgekommen, denn in seinen Schuhen habe er Erde von der Dorfstrasse getragen und unter dem Hut sei sein Schöpflöffel und Richtkamm verborgen gewesen. Wegen dieses Betruges und Meineides müsse er nun als Geist über das Allmendland wandern.
Der Geisterbanner befahl ihm nun, an einen verlassenen Ort sich zurückzuziehen. Der Geist versprach zu gehorchen, doch müssten seine Landsleute das Unrecht wieder gutmachen. Allein, die Bewohner von Ägeri weigerten sich, das erworbene Land zurückzugeben, da sie den Läufer nicht zu seinem unehrlichen Handeln aufgefordert hätten. Darum verschwand der Geist nicht völlig von der Allmend. Hin und wieder reitet der Läufer über das Land, besonders an Fronfasten, und nur Sonntagskinder können ihn sehen und sein jammerndes Rufen und Klagen hören.
Quelle: Hans Koch, Zuger Sagen und Legenden, Zug 1955, S. 72
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.