1. a) Einige Schattdorfer begaben sich in das Haus im untern Hof, um dort um eine Nidel zu spielen. Als sie auf dem Wege dorthin in das Häuslein auf dem Halbenstein hineinschauten, sahen sie darin ein altes Maitli mit einem altertümlichen Häubchen auf dem Kopf am Rade sitzen und spinnen. Das kam ihnen so kurios vor. Als sie so etwa um zehn Uhr herum ihr Spiel vollendet hatten, hiess es: »Wer will jetzt zum Tellen hinauf gehen und dort Brot holen?« Keiner anerbot sich, weshalb sie das Los zogen. Es traf den Haldiger Toni, einen frechen Burschen, und einen Walker. Sie kamen zum obgenannten Häuschen, und da meinte der Toni: »Wart, dem Guschi wil-i ds Hybbli scho appätüe!« und stupfte mit einem Rütchen durch das Schiebfensterchen hinein, zog dem Maitli das Häubchen über den Kopf herunter und machte sich schleunigst davon. Als die beiden Burschen mit dem Brot zurückkehrten, stand das Guschi auf dem Halbenstein unter der Haustüre, schaute sie bös an, packte zwei hämpflige Steine und zerrieb sie, indem es ihnen zurief: »Wenn nitt jedä von ych äs Brot biën-em hätt, sä tät-ich zerrybä wië dië Stei!« – »Ds Brot isch halt ä Gab Gottes,« fügt der Erzähler hinzu, und eine Schächentalerin ergänzt: »Ds Brot isch alles gsägnets.«
Karl Gisler, Schattdorf, 45 J. alt.
b) Zu dem Firstkämmerchen des uralten seit Jahrzehnten abgebrannten Bauernhauses in der Steinermatte am Gangbach zu Schattdorf schaute nachts nicht selten ein altes Weibsbild heraus. Einige Nachtbuben erlaubten sich den Scherz, mit einer Latte nach seinem grossen, altmodischen Strohhut zu stupfen. Dann gingen sie ins Haus hinein und erlustigten sich am Kartenspiel. Später musste einer von ihnen Proviant holen, und auf dem Rückwege vom Dorf begegnete ihm auf dem Halbenstein ein altes Guschi, das sich an ihn heranmachte und ihn herumstiess. Doch konnte es ihm nichts anhaben. Um es zu vertreiben, legte der Bursche das Brot, das er unter dem Arme trug, beiseite, merkte aber sofort, dass das »lätz« wäre, und hob es rasch wieder auf. Das Gespenst, oder was es gewesen sein mag, schnerzte noch chybig: »Wenn nitt ds Brot biën-d'r hättisch, so hätt-i G'walt, dass di chennt z'Huddlä und z'Strämpä v'rzehrä,« und verschwand.
c) Nach anderer Erzählart packte das Weibsbild den Burschen sofort, nachdem er das Brot abgelegt, und warf ihn über die Mauer in den »Hof« hinüber, wo er am nächsten Tage erst spät halbtot, mit blutigem Schaum um Mund und Nase, aufgefunden wurde. Das Weiblein aber rief dem Burschen, als er drunten lag: »Wenn d' nitt nu äs Breesmäli im Sack hättisch, hätt-i G'walt, dich z'teedä.«
d) Das Gespenst war das »Rystätunggeli«. »Wenn ds Brot nit abgleit hättisch, hätt-i kei Gwalt iber di g'ha.«
Cäcilia Gisler-Walker; Frau Wipfli-Herger u.a.
2. Ein Seelisberger Bursche holte öfters spät am Abend noch Brot in einem Laden nahe bei der Kirche und trug es gewöhnlich unter dem Arm heim. Bei einem Stapfetli griff ihn fast jedesmal so ein Wäuti an, er wusste nicht, ob Mannen- oder Weibervolk, und begann mit ihm zu hoslen. Doch wurde es ihm nicht Meister. Als er endlich daheim davon erzählte, rieten ihm die Seinigen: »Da wett-i etz doch nu lüegä! Stell dü ds Brot ab und probiër dü einisch äsoo!« Aber jetzt warf ihn das Gespenst beim ersten Angriff zu Boden, dass er von Sinnen kam und lange bewusstlos liegen blieb.
Jos. Maria Aschwanden, 60 J. alt.
3. Ein altes Meitli in Isental, ds Scharoni genannt, pflegte noch zu Menschengedenken stets ein wenig Brot im Sack bei sich zu tragen, das sei gut gegen alles Böse und gegen allen Zauber. – Manche behaupten, es müsse St. Agatha-Brot sein. (Maderanertal.)
Hans Aschwanden, 50 J. alt.
4. Ich war auf der Föhnenwacht in Altdorf. Wie ich um die Mitternachtsstunde zur hintern Kirchtüre gelangte, begegnete mir ganz plötzlich ein Gespenst, das in weisse Tücher eingehüllt war und Feuer gegen mich spie. Man kann sich denken, wie ich erschrak! Es musterte mich mit giftigen Blicken, riss dann einen Stein aus der Bsetzi, zerrieb ihn zwischen den Händen zu feinem Pulver und herrschte mich an: »Wenn d'nit ä Gab Gottes im Sack hättisch, tät-di zerrrybä wië der Stei!« Dann verschwand es. Als ich meine Taschen untersuchte, fand ich ein Stücklein Brot. So erzählt ein etwa 60jähriger Mann von Altdorf.
J. Zurfluh
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.