Auf einer Urner Alp hatten sie einen furchtbaren Übelstand, weil kein Knecht dort bleiben konnte; alle verschwanden wenige Tage nach der Alpfahrt auf unerklärliche Weise. Endlich meldete sich einer, der nicht gerade der Gescheiteste zu sein schien, und beteuerte, er fürchte sich nicht; ihm werde nichts geschehen. Sie waren froh über ihn und stellten ihn ein. Er war fromm und betete jeden Abend um 9 Uhr den Rosenkranz. Gleich am ersten Abend gesellte sich ein Unbekannter zu ihm, begleitete sein Gebet und verliess ihn nachher wieder; so ging es den ganzen Sommer hindurch. Am Tage der Talfahrt fragte der Geist den frommen Alpknecht, ob är äu mid-m z' Bodä derf? es sei da oben zur Winterszeit hie und da wohl etwas kalt. Der Älpler erlaubte es ihm, und daheim fuhr er in seiner gottesfürchtigen Gewohnheit fort; alle Abende betete er um 9 Uhr laut den Rosenkranz, und der Geist kam auch und betete mit ihm. Der Meister hörte das Gebrummel der beiden und wollte wissen, was das sei. Zuerst wollte der Knecht nicht mit der Sprache heraus, nachdem er aber mit seinem geheimnisvollen Gespanen Rücksprache genommen, bekannte er alles; aber sie wollten noch Näheres erfahren, warum der Geist wandeln müsse, was ihm fehle, und was sie für ihn tun könnten. Der Einfältige redete ihn an und erfuhr von ihm: »Ich habe vor Zeiten die Hälfte der Alp und des Viehes ungerecht an mich gebracht und kann nicht selig werden, bevor das Gut wieder in der Hand des Eigentümers ist. Die Frau deines Meisters war meine einzige Tochter und hat ihm das ungerecht erworbene Gut in die Ehe gebracht; darum habe ich Gewalt über sie, dass sie solange krank sein muss, bis er die Hälfte der Alp und des von meiner Tochter ererbten Viehes dem rechtmässigen Eigentümer zurückerstattet hat.« Und in der Tat war die Meisterin schon viele Jahre krank und litt an einem von niemand erkannten Bresten. Der Knecht meldete alles getreulich seinem Herrn, aber der wollte ihm nicht glauben und meinte, das gehe ihn nichts an. Als er aber sah, welches Geld er für seine Frau verdoktern musste, wurde er mürbe und liess den Geist durch einen Kapuziner anreden. Und jetzt bestätigte sich alles, was der einfältige Knecht gesagt hatte. Der Bauer machte nun alles in Ordnung, der Geist erschien nicht mehr, und die Frau wurde gesund.
Tobias Lussmann, Silenen
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.