Josef Baumann († 1909 ca. 80 Jahre alt) aus dem Meiental hat von seinem Vater Johann, der als Landwirt zu Färnigen in den vierziger Jahren des letztverflossenen Jahrhunderts starb, wiederholt die folgende Erzählung gehört:
Unser drei Geissbuben hüteten am Schyenstock die Ziegen. Auf einmal (es muss am 14. August 1799 gewesen sein) bewegte sich eine kriegerische Kolonne über Guretzmettlen und Seewen gegen den Schyen. Es waren die Franzosen, die über den Susten kamen, um die Österreicher in der Meienschanze anzugreifen. Wir hatten aber damals keine Ahnung, wer diese Soldaten seien, und waren höchlichst überrascht, als wir von ferne die glänzenden Uniformen und die blanken Waffen aufblitzen sahen. Von diesem ungewohnten Schauspiele erschreckt, sprangen wir davon und verbargen uns hinter Steine und Gebüsch. Die Soldaten fingen unsere Ziegen ein und sogen ihnen die Milch aus. Dann wählten sie die fetteste aus, schlachteten sie und verzehrten sofort das rohe Fleisch. Nun dachten wir, es könnte auch den andern Ziegen nicht besser gehen, wenn wir uns nicht zeigen würden. Darum traten wir aus unserem Versteck hervor. Die Soldaten schienen darob erfreut, fragten sofort, ob man hier gegen die Meienschanze vorrücken könne, und ob wir einen sichern Weg dahin wüssten. Wir bejahten dies gerne, und man gab uns etwas Geld mit der Weisung, dasselbe dem Eigentümer der geschlachteten Ziege zu bringen. Allmählich näherten wir uns den österreichischen Vorposten und konnten schliesslich von den Flühen herab die Meienschanze zeigen, worin die Österreicher lagen. Es begann ein Gewehrfeuer; die Franzosen konnten wohl hinab schiessen, aber die Österreicher drangen mit ihren Kugeln nicht hinauf. Die Franken beauftragten uns, kleine Steine zu sammeln, die sie mittels grossröhriger Büchsen auf die Gegner hinunter sandten. Erstaunt fragten wir die Schiessenden, warum sie denn Steine verwenden? Sie sagten, die seien gut genug, die gehen schon hinab, sie müssten das Blei sparen. So schossen unsere Begleiter eine grosse Zahl Feinde zusammen und vertrieben dieselben zuletzt aus der Schanze. Die Toten warf man auf dem steinigen Grunde in ein Massengrab und deckte dieses leicht mit Erde zu.
Josef Baumann (wie auch andere Leute aus der Gegend) fügt der Erzählung seines Vaters noch hinzu: Die Stelle dieses Grabes kann man jetzt noch in der Nähe der ehemaligen St. Niklausenkapelle erkennen, und da und dort kommen von Zeit zu Zeit Gebeine zwischen den Steinen zum Vorschein. Durch Einfluss der Witterung wurde eines Tages auch ein Totenschädel unweit dem Kirchweg in jener Gegend bemerkbar. Die Buben trieben damit ihr Gespött und warfen ihn in das Schanztobel. Er rollte mit einem merkwürdigen, übernatürlichen Gepolter in die schaurige Tiefe, aber des andern Tages war der Schädel stets wieder am Wegrand zu finden. Man berichtete den Vorfall unserem Pfarrer. Dieser sagte, der Kopf wolle offenbar auf geweihtem Erdreich ruhen. Er nahm den Schädel und versorgte ihn im Beinhaus bei der Pfarrkirche zu Wassen. Da hatte er nun Ruhe. Es war auch sonst in der Nähe jenes Soldatengrabes nicht geheuer, und es hat dort zuweilen Leute bstellt, und ein geheimnisvolles, nächtliches Licht hat schon manchen Wanderer in die Steingand hinauf oder sonstwie in die Irre geführt, bis ihn der Klang der Betglocke am Morgen befreite. Seitdem man aber die Seelensonntage eingeführt, nahm der Spuk ein Ende.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.