Nicht wenig empfindlich scheinen die im Beinhaus zu Andermatt aufgebeigten Totenschädel zu sein. Das beweisen mehrere auffallende Begebenheiten.
1. Schuhmacher Wolleb wollte einmal in der genannten Kapelle übernachten. Er war nicht etwa angeheitert, ä b'hiët-is nei! Im nächtlichen Dunkel betrat er den geheiligten Raum, zündete ein Schwefelhölzchen an, leuchtete damit an die Schädel hinauf und rief: »So, so! iëhr altä Tschiddlä-n-iëhr, hinecht tüe-n-ich au einisch bi eich ubernachtä; werdet wohl nyt d'rgeget hä? Wennd's eich eppä nit passet, sä cheemet nur appä, i flrchte-n-eich nitt.« Aber da ergriff es ihn mit unsichtbaren Händen und trug ihn durch die Lüfte bis zum Rathaus. Nur zwei einzige Male kam er auf dieser schauerlichen Fahrt auf den Boden. Er verlor beide Beine.
2. Der Schmied Kaspar Christen, der jedoch ein kleines Fähnchen schwang, eilte mit einem Hammer aus dem Wirtshaus ins Beinhaus und verspottete die »Tschiddlä«. Allein hoch durch die Lüfte entfuhr es mit ihm in rasender Eile ins Dorf zurück. Wie er wieder zu Boden gekommen, wusste er nicht. Fragte man ihn später, wie es ihm ergangen, pflegte er tiefernst zu sagen: »Was ich da alles gesehen und erlebt habe, wird erst am jüngsten Tage offenbar werden!« Der Verlust eines Armes war die Folge seines Abenteuers.
Mich. und J.J. Simmen u.a.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.