1. Der alte Rubi zu Attinghausen hatte nicht selten seinen Nachbarn im Hohl die Kinder gehütet; er hatte ja Zeit, und zu einer andern Arbeit war er nicht mehr fähig. Auf dem Krankenbett sagte er öfters zu ihnen, wenn er einmal tot sei, werde er hie und da kommen und ihnen die Kleinen gaumen.
Mittlerweile vertauschte er das Zeitliche an das Ewige. Eines Tages sah der Bauer im Hohl, als er gerade in der Holzwitteren arbeitete, den Rubi daherkommen und in das Haus hineingehen. »Da bin i etz doch froh, dass m'r der zu dä Goofä lüegt,« dachte der Hohler bei sich, und erst geraume Zeit später kam es ihm in den Sinn, dass ja der Rubi gestorben sei. »Dü Narr,« schalt er sich selber, »der isch ja scho lang tot,« und ein eiskalter Schauer überrieselte ihn. Mehr als einen Monat blieb er krank.
Katharina Gisler-Müller, 70 J. alt, Altdorf
2. »Den 15. December 1609 (hat mir) allhie in der Statt Lucern ein geleerter und wolerfarner Herr und Houpt sines Vatterlandes In den 4 Waldstetten, nemlich zu Uri, Johann Conrat von Beroldingen, in Wahrheit erzellt, das sinem An oder Grossvatters Vatter Andreas von Beroldingen, Landammann zu Uri, vast glychförmige Sach und Versprechung zwischen im und siner gutten Gsellen einem ungefer Ano 1490 sich begeben, allein umb so vil wytter, das der Eine (der Überlebende) das Geschirr mit Wyn, der Andere aber (der Tote) ein Brot bringen sollte. Dann, als derselbig vor ime gestorben und er, der lebend, sye an des Gelübds yngedenk sich mit dem Geschirr mit Wyn an ds bestimpte Ort verfügt, sye des Abgestorbnen Seel oder Geist allda mit dem Brot erschinen, doch sich nit sehen, sondern alein die Stimen hören lassen. Daruff er, der Lebend, gefragt, wie es umb syn des Abgestorben Seel stande, ob er sälig oder verdampt. Daruff ime geantwort worden, er möge es zwar nit wüssen, denn die beschlüßlich Urtheil noch nit ergangen, denn er habe noch müssen das versprochen Gelübde, bim Leben beschechen, halten oder erstatten, alls ein Sach der Gerechtigkeit. Aber sonst stande es gar gferlich zwüschen ime und der Urtheil Gottes, und solltend alle Menschen gewarnt sein, sich in kein solche Vermessenheit zu lassen, sondern ire letste Ding besser betrachten.
Diser Mann, so domalen allso noch in Leben, hatt sich diß Geschefft wol beherziget, ist auch in sinem Vatterland vast vernampt worden, und wo man sin Fenster und Wappen in Hüser begert, hatt er's zwar geben, aber allwegen zur Gedächtnuss und Erinnerung der Sach dise Histori oben in das Gefäss malen und brennen lassen.«
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.