Der Schimmelreiter
Eines Abends, es war schon dunkel, fuhr ein behäbiger Landmann mit einem schweren Wagen, den seine vier Ochsen zogen, von Ellikon nach Rickenbach. Da er Weg und Steg kannte, kam er trotz der nächtlichen Düsternis gut vorwärts. Und als es nun über den Höhen zu heitern begann und er um sich Tausende und aber Tausende weisser Nachtfalter schweben sah, wurde er gar wohl aufgelegt. Er pfiff ein Schelmenliedchen vor sich hin. Dann lachte er laut auf, denn es kam ihm in den Sinn, dass es nach der Meinung der Leute hinter dem nahen Wäldchen, hinter dem eben der Mond in seiner ganzen geheimnisvollen Heiterkeit aufging, nicht geheuer sein solle. Vorhin hatte ihm die Wirtin zu Ellikon noch gesagt, dass sie nachts um kein Geld in dieses Holz gehen würde, das nun vor ihm lag und langsam auf ihn zu zuzurücken schien. Er lachte wieder und noch viel übermütiger auf, denn er musste an die erschrockenen Augen der Alten denken, als sie zu ihm vom Spukwäldchen redete. Wie doch diesen Weibsbildern allerlei Geschichten durch den Kopf gingen.
Kräftig schwang er die Peitsche, also dass es knallte wie an einem Schützenfest. Nun war er hart an dem arg verschrienen Wäldchen, das friedlich, als die Wiege Tausender schlummernder Vögel, vor ihm stand.
Da kam hinter dem Hügel ein Reiter hervor, der einen schneetaubenweissen Schimmel ritt. Nicht dass sich der Fuhrmann vor Gespenstern gefürchtet hätte, aber es wollte ihn seltsam bedünken, dass der Reiter so lautlos über den steinigen Feldweg aufs Holz zuzuhalten vermochte; nicht einen Hufschlag vernahm man. Der Bauer redete den sonderbaren Reitersmann an, erhielt aber keine Antwort, was ihm noch verwunderlicher vorkam. Und jetzt sah er, wie der Reiter, völlig lautlos, über einen breiten Graben setzte und darnach unter den hohen Buchen verschwand,
Kopfschüttelnd trieb der Landwirt sein Ochsengespann an. Jetzt fuhr er ins Wäldchen hinein. Merkwürdigerweise wurde es darin nicht dunkler, obwohl der Mond nicht mehr zu sehen war. Je tiefer er auf dem Prügelweg ins Holz hinein geriet, desto heller wurde es. Es war, als ob die ungezählten Tautropfen, die an allen Laubblättern hingen, zu leuchten anfingen. Und jetzt sah er zu seiner Überraschung den Reiter auf dem Schimmel wieder durch den Wald zurück auf sich zukommen. Aber obwohl der Bauer mit seinen Ochsen wacker vorwärts zu kommen schien, und der Reiter unaufhörlich auf ihn zutrabte, wollten sie nicht zusammenkommen. Er hieb auf die Ochsen ein und rief aus: „In Teufels Namen, jetzt macht, dass wir zu diesem Wäldchen hinaus kommen. Es ist ja länger als von Pfingsten bis Ostern!“
Kaum hatte er's gerufen, so sprengte der Reiter wie's Wetter auf ihn zu, obwohl sein Schimmel den Boden kaum zu berühren schien. Und jetzt hielt er hart vor ihm und seinem Ochsengespann an. Nun war es dem Bauern anders. Es war ihm, man tauche ihn mit Leib und Seele in einen gefrorenen Teich, denn mit Entsetzen sah er, dass der Reiter seinen Kopf, wie ein Brot, unter dem Arm trug. Eine Zeitlang war er wie gelähmt, und die Zähne knackten ihm ineinander wie eine übel schliessende Türfalle. Also hatten die Leute in Ellikon doch recht: es ging in diesem Wäldchen um. Immer musste er nach dem Reiter und seinem weissen Ross starren, die unbeweglich wie von Stein vor seinen Ochsen hielten.
So konnte es nicht bleiben. Er ermannte sich und geisselte verzweifelt auf die armen Tiere los. Aber die Ochsen zuckten wohl zusammen, brüllten dumpf und zogen gewaltig an den Strängen, brachten jedoch den Wagen nicht um eine Handbreit weiter. Was er auch tat, der Wagen blieb wie eingemauert stehen. Wütend sprang er auf und schlug mit dem Peitschenstiel nach dem unheimlichen Reiter. Da zerflossen dieser und sein Schimmel in ein Silbernebelchen. Aber wie der Fuhrmann auch auf das Zugvieh losprügelte, der Wagen kam nicht ab Fleck.
Ingrimmig spannte er seine Ochsen aus, liess den verhexten Wagen stehen und trieb sie über den Waldweg nidsich. Und nun ritt auch der Reiter auf seinem Schimmel wieder vor ihm her, und es war, als wollte das Holz, das doch sonst kaum etliche Steinwürfe lang war, in Ewigkeit nie aufhören. Jetzt krähte irgendwo der Hahn, und der Reiter und Ross waren wie weggeblasen. Der Bauer aber stand mit seinen Ochsen am Waldausgang, und der Mond schien friedlich über Weg und Steg. Missmutig machte er sich mit seinem Doppelgespann nach Hause. Es tagte, als er dort ankam. Am hellen Mittag holte er seinen schweren Wagen, der nun wie geschmiert durchs Wäldchen heimzu rasselte.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Winterthur und Weinland
Wörtlich aus Lienert, S. 110; Vernaleken, S, 170; Corrodi, Sagen Winterthur, 1916, Nr. 2.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.