Einst herrschte auf der Burg in Zug eine adelige Frau, die grosse, ihr zinspflichtige Güter besass. Sie hatte viel Korn und Wein, Rebgüter am Zürichsee, auch Hafer, Gerste und andere Feldfrüchte aus dem Freiamt bei Maschwanden und der Umgegend. Auf einen bestimmten Jahrestag hin mussten die Bauern der Herrin Zins oder Zehnten bringen und kamen zu Pferd auf die Zuger Burg. Es waren soviele, dass von der Burg bis zur Niklausen-Kapelle Ross an Ross dastand. Dieses Weib war hochmütig, unersättlich und wollüstig, lebte in Saus und Braus, üppiger Hoffart und Völlerei. Gut essen und trinken ging ihr über alles, und an anderes dachte sie nicht. Doch aus dem See ass sie keine Fische, es sei denn die Leber der Trüschen. Sie zog köstliches Wildbret, Geflügel, Spezereien und kostbare Weine vor.
Ihren eigenen Landwein nannte sie Rossseich. Sie lebte in solchem Übermut, dass sie Zinsen und Güter verprasste und vertat und schliesslich in Armut geriet. Zuletzt wandte sie sich an die Herren von Zürich und bat um eine Pfründe in einem Spital. Doch man meinte dort, man solle ihr diese Bitte abschlagen, ihres tyrannischen Wesens, ihrer Unersättlichkeit und Üppigkeit wegen. So war diese Frau zuletzt von aller Welt verspottet und verschmäht, besass weder Trost noch Hilfe, kam nach langer Armut ins Alter, verachtet, hungerleidend und zuletzt von Unrat, Läusen und Hunger verdorben.
Quelle: Suter, Kaspar, Kasper Suters Chronik 1541. Zug 1964, S.45
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.