Der dumme Peter

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Wo der Weg in eine Bergschlucht sich emporwindet, stand ein sonngebräuntes Haus mit zentnerschweren Dachnägeln, und es wohnten Vater und Mutter mit ihren drei erwachsenen Söhnen darin. Die zwei ältern Söhne waren voller Hochmut gegen ihren jüngsten Bruder, den sie beständig hänselten und neckten und nur den dummen Peter nannten, weil er ein bisschen tappig war.

Den Eltern aber waren alle Kinder gleich lieb, und sie rieten hin und her, wer von den Söhnen einmal das Gütchen erben sollte. Eines Tages sagte der Vater zu ihnen: «Ihr seid jetzt gross und alt genug, euch eine Frau zu nehmen. Das Haus hat aber nur Raum für eine Familie, also müssen zwei von euch auswandern!» Die Mutter ging auf die Laube, zupfte drei Büschel Flachs aus dem Bündel, das am Giebel hing, gab jedem der Buben einen Büschel in die Hand und sagte: «Es gehe jeder damit zu seinem Mädchen und lasse den Flachs spinnen. Wer mir das schönste Garn zurückbringt, darf heiraten und das Gütchen in Besitz nehmen.»

Die zwei ältern Brüder machten sich sofort auf den Weg zu ihren Geliebten. Peter aber hatte keinen Schatz und wusste nicht, was er mit dem Flachs beginnen sollte. Düstrn Mutes irrte er in den Feldern herum, denn ihm blieb nichts anderes übrig, als ausser Landes zu ziehen und bei fremden Leuten sein Brot zu verdienen. Da hörte er über sich das Lied der Lerche, und er sah einen Falter, der vor ihm herflog, sich auf eine Blume niederliess und weiterschwebte. Wie von einer innern Kraft getrieben, folgte er dem Schmetterling und kam zum Bach, der fröhlich murmelnd durch die Matten glitt. Peter ging mit den Wellen, ergötzte sich an ihrem Spiel und an den goldenen Blütensternen, die sich zum Wasser neigten, als lauschten sie dem Gesang des Baches. Er vergass den Flachsbüschel und seinen Kummer, denn immer schöner wurde die Blumenwiese, so schön, wie er sie noch nie gesehen hatte.

Auf einmal hörte er jemand rufen: «Peter, wo willst du hin?» Er sah sich um, aber weit und breit war kein Mensch zu erblicken. Er ging weiter und hörte zum zweitenmal: «Peter, wo willst du hin?» Da er niemand in der Wiese bemerkte, setzte er die Wanderung fort, und als zum drittenmal ganz deutlich sein Name gerufen wurde, schaute er in die Nähe und in die Weite und wieder vor sich hin und entdeckte nun einen Frosch, der auf einem Blattschilde sass und wie ein Mensch zu ihm redete.

Peter zog den Büschel aus der Tasche und sagte: «Eine Spinnerin sollte ich suchen, die mir zu Gefallen schönes Garn aus dem Flachse spinnt, allein mich hat niemand lieb, und deshalb muss ich morgen mein Elternhaus verlassen und auswandern.»

«Gib mir den Flachs!» sagte der Frosch und hüpfte näher. «Ich will ihn dir spinnen, und morgen kannst du das Garn abholen.»

«So nimm ihn, das Zeug hat für mich ja doch keinen Wert!» Mit seinem breiten Maule schnappte der Frosch die Locke auf, patschte in den Bach und ruderte damit in die Binsen.

«Peter, willst du deinen Flachs nicht auch spinnen lassen?» foppten ihn die Leute. «Ich weiss dir eine Liebste, die es gerne tut. Zwar hat sie einen Buckel und ein lahmes Bein und Runzeln im Gesicht.» Und die ältern Brüder schmunzelten und sagten zueinander, der dumme Peter sei der erste, der ausziehen müsse, und sie freuten sich, den einfältigen Tropf endlich loszuwerden.

Am nächsten Tag gingen sie fort, das Garn abzuholen. Peter hatte den Frosch vergessen und schlenderte in die Felder hinaus. Er hörte wieder die Lerche trillern und sah den Schmetterling, der ihn zum Bache lockte, und als er an die Stelle kam, wo man ihm dreimal gerufen hatte, fiel ihm der Frosch ein, und siehe, das Garn hing am Strauch, fein wie Seide, und glitzerte in der Sonne. Schnell nahm er das Stränglein und wollte nach Hause eilen, als er hinter sich rufen hörte. Wie gestern sass der Frosch auf dem Blattschilde und sagte: «Peter, wo willst du hin?» «Heim zur Mutter», erwiderte er, «und ihr das schöne Garn zeigen.»

«Deine Mutter wird sagen, du habest das schönste Garn, also könntest du heiraten und dich in den Hof setzen. Aber hast du einen Schatz?»

«Wie sollte ich einen Schatz haben!» entgegnete er und liess den Kopf hängen. «Mich hat niemand Iieb.»

«Ich habe dich lieb», sagte der Frosch «und will dich heiraten, geh zum Pfarrer und lass verkünden! Hernach gehst du zu der besten Schneiderin, die soll mir das Hochzeitsgewand anfertigen. Sag nur, es sei für eine schöne schlanke Gräfin. Du bestimmst den Tag der Trauung und nimmst das Kleid mit in die Kirche, und dann wart auf mich, es soll dich nicht gereuen!»

Peter ging mit dem Gespinst nach Hause, wo die zwei Brüder sich zankten, wer von ihnen das schönere Garn heimgebracht habe. Dei Mutter rief: «Ei, da kommt ja unser Peter, ei, ei, was hast du für einen braven Schatz! Dein Garn ist weitaus das schönste. Nimm das Haus, und lass dich mit deiner Braut ausrufen! Ihr andern müsst ausziehen!»

Die zwei Brüder schimpften, warfen den Strang auf den Boden, stampften darauf und zogen noch gleichen Tags, ohne Abschied zu nehmen von Vater und Mutter, davon. Peter aber begab sich zum Pfarrer und bat ihn, auf der Kanzel seine Hochzeit zu verkünden.

«Mit wem?» fragte der Geistliche erstaunt. «Mit dem Frosch im Moosgrund.»

Voller Entsetzen wandte ihm der Pastor den Rücken. Peter lief ihm nach und bestand darauf, dass er getraut werde, und zwar in acht Tagen. Und stracks lief er zu der besten Schneiderin und bestellte das Hochzeitsgewand für eine schöne schlanke Gräfin.

Sie riss die Augen auf und sah ihm starr ins Gesicht. Er sei ein Tölpel, sagte sie, aber für so dumm habe sie ihn doch nicht gehalten. «Wenn du etwa fürchtest, den Lohn nicht zu bekommen, so will ich dir sagen, das Kleid wird bezahlt!»

«Das ist die Hauptsache», erwiderte die Jungfer und ging unverweilt an die Arbeit.

Am Tage der Trauung drängte sich das Volk in die Kirche, um der Hochzeit des dummen Peter mit dem Frosch im Moosgrund beizuwohnen. Man glaubte immer noch an einen Scherz, allein plötzlich ging eine grosse Bewegung durch die Zuschauer. Das Kleid seiner Braut auf dem Arm, trat Peter an den Altar und ersuchte den Pfarrer, anzufangen. Dieser wartete und zögerte und faltete die Hände, und Peter sah sich um, selber aufs höchste gespannt, was nun geschehen werde. Er sah die spöttischen Gesichter der Neugierigen, die sich mit dem Ellbogen stiessen und den Spott offen zur Schau trugen.

Unversehens wurde es mäuschenstill in der Kirche, die Orgel fing an zu spielen und jetzt - seht da, seht - hüpft ein moosgrüner Frosch durch den Mittelgang. Immer rascher und grösser werden seine Sprünge. Kalt und warm rieselt es Peter über den Rücken.

Totenblässe bedeckt sein Gesicht. Allein, er weicht nicht von der Stelle.

Auf einmal sieht er keinen Frosch mehr, und das Kleid auf seinem Arm ist verschwunden. Es steht eine schöne schlanke Jungfrau an seiner Seite, mit roten Wangen und einem goldenen Kettlein um den Hals. Und sie schaut ihm so lieb und dankbar in die Augen, dass die Blässe in seinem Antlitz einer purpurnen Röte Platz macht und das Herz ihm zum Halse emporschlägt. Mit einer hellen lieblichen Stimme sagt sie dem Pfarrer, er möge sie zusammengeben und einsegnen.

Als die Trauung vollzogen war, schritten sie unter den Klängen der Orgel zur Kirche hinaus, und da glänzte neben der alten Hütte mit den zentnerschweren Dachnägeln ein neues, feingezimmertes Haus mit zwei Lauben und spiegelblanken Fenstern. Ein Brunnen rauschte, und ein blaues Räuchlein wirbelte über dem Giebel. Es war das Haus, wo Peter mit seiner schönen Frau Einzug hielt und ein langes, glückliches Leben führte.

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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