Ein Alpsee vormals ein Kornfeld, ist das möglich? Seltsam, ganz seltsam, und doch ist es so. Der alleinige Besitzer des Weizenackers war ein Älpler, der mit seinen zwei Töchtern und einem Tross von Knechten und Mägden sein Gut verwaltete.
Wetterfest, geräumig war das Gebäude, aus zähem Bergholz gezimmert, und über den Giebelbalken lief ein Spruch. Vor den Gesimsen hingen Nelken und Geranien, im Garten blühten Levkojen und Rittersporn und vom Mai bis in den späten Sommer Enziane von der dunkelblauen Akaulis bis zum goldenen Schaft der Altarkerzen. Wenn dann noch die Linde duftete und die Sonne über das braune Gebälk, den Vorplatz und die wohlbestellten Felder ihren Glanz ergoss, war das mächtige Haus wie eine Burg der Eintracht und des Friedens zu schauen.
Man kann sich täuschen! Vater Klaus war arbeitsam, streng gegen sich, gerecht gegen die Untergebenen, die Töchter waren faule Schlampen und Leckermäuler. Was der Vater anordnete, widerriefen sie; wo er sparte, warfen sie das Geld zum Fenster hinaus. Wenn er freigebig und gutherzig spendete, drehten sie die Batzen in der Hand und wiesen jeden Bettler von der Küche.
Der Stolz des Vaters war das Kornfeld, das weit und breit im Gebirge nicht seinesgleichen hatte. Auf der schier unabsehbaren Ebene gedieh die grüne Saat zu Halm und Frucht, und im August schwankten die goldenen Ähren im Spiel der Wogen, dass jedem, der es sah, das Herz im Leibe lachte.
Wohl gehörte der Acker dem Klaus, an der Ernte jedoch durften die Anstösser sich beteiligen und nach Bedarf einheimsen. Nicht ein Körnchen mehr behielt der Besitzer zurück, als was er in seinem Haushalt an Mehl und Brot verzehrte.
Eines Tages brachte man den Vater, der in eine Schlucht gefallen war, todkrank ins Haus, und seine letzten Worte an die Kinder lauteten: «Seid hilfreich und friedfertig, und haltet den Acker in Ehren! Er darf nie zerstückelt werden!»
Die gemeinsame Trauer um den Dahingegangenen wurzelte nicht so tief wie die Habsucht, welche die beiden Schwestern jetzt herauskehrten und flattern liessen wie Wäsche am Seil. Soviel sie konnten, rafften sie auf die Seite, und als im Herbst der Acker im Winde sich bog und wogte und die Leute von nah und fern sich herbeimachten, um die goldenen Ähren einzubringen und wie üblich ihre Scheunen zu füllen, lehnten die Schwestern jede Hilfe barsch von sich. Sie hätten Knechte und Mägde, und der Überschuss würde auf den Markt gebracht und verkauft. Kratzine hiess die eine, Klauenmine die andere, so hatte das Gesinde sie getauft.
Als sie den Erlös nachrechneten und gierig in dem Mammon wühlten, ereiferten sie sich in Hader und Zorn, indem sie sich gegenseitig des Unrechtes und falscher Gedanken beschuldigten. Am andern Morgen wurde der gemeinsame Haushalt aufgelöst, Vieh und Geräte bis auf das letzte Eimerchen geschieden, und Kratzine zog in den ersten Stock hinauf, während Klauenmine die untern Räume behielt.
Wo die Zwietracht fetten Boden ergreift, nagt und bohrt sie wie ein Wurm sich in die Tiefe. Ohne Gruss gingen die Schwestern aneinander vorbei, reizten die Dienstboten auf, stritten in Keller und Speicher um die Vorräte, schlossen einen faulen Frieden und teilten das Getreidefeld in zwei Hälften. Mit Stangen und Messlatten schritten die Knechte den Acker ab und rammten mittendurch Grenzpfähle ein.
Kaum war die Ernte im Gang, so befiel die Schwestern eine furchtbare Aufregung. Misstrauisch zählten sie die Garben und Manneslasten, die von den beiden Hälften weggetragen wurden. Da sie einander nicht trauten und jeden Schritt und Befehl argwöhnisch überwachten, wie Katzen sprungbereit sich umschlichen und belauerten, ging der Rummel auf einmal los. Sie packten sich an der Nase, an den Haaren, gackerten und plusterten sich wie aufgescheuchte Gluckhennen, und ob dem Gezeter und Geheul rannten die Knechte ihrer Meisterin zu Hilfe, rumpelten wie losgebrochene Felsstücke in den Knäuel, putschten die harten Schädel zusammen, fassten blitzschnell Griffe, pufften und stemmten und überkollerten sich, und die regelrechte Balgerei endete mit blutigen Köpfen und schnaubendem Hass, der fortan in den beiden Parteien glomm und zur grimmigen Feindschaft aufloderte. Den unseligen Streit zu schlichten, bestellten die Schwestern den Richter, der das Feld nochmals der Länge und Breite nach prüfte und die genaue Mitte durch Holzmarken bezeichnete. Den schönsten Zipfel freilich hegte er ein und erklärte ihn als sein Besitztum, denn die Schwestern verweigerten ihm den Lohn.
Als man im Frühjahr den Acker umbrach, ging der Streit von neuem los. Auf das Geheiss ihrer Herrinnen hatten die Knechte die Marken heimlich versetzt, die Pflüger wussten nicht mehr, ob hüst oder hott.
«Du hast mich hintergangen», hässelte Klauenmine. Wie hungrige Krähen hackten sie aufeinander los und verwickelten sich in den Haaren. Die Mägde mussten sie trennen.
Eine Woche darauf liessen sie den Acker durch zwei beeidete Richter teilen und abstecken. Für ihre Mühe behielt jeder einen Streifen für sich. Als im Herbst die Mähder zur Ernte ausrückten, warfen sie wie auf Verabredung die Sensen weg, und von der Meisterin mit Versprechungen gefüttert und gestachelt, stürzten sie wie
eine Meute wilder Hunde ins Gefecht und rauften sich blutig. Ein schönes Ende des Ackers war zerstampft und in den Boden getrampelt.
Beide Parteien legten ihren Advokaten den Handel vor. Die schlauen Herren besahen das Grundstück, schrieben und rechneten, zogen den Prozess in die Länge, und um die Forderungen zu bezahlen, verkauften die Schwestern heute ein Stück und morgen wieder eins. Als ihnen die Rechnung ins Haus gesandt wurde, bekamen sie einen solchen Schreck, dass sie sich eine Woche lang einschlossen und nur zuweilen durch die Scheiben blinzelten, ob es nicht Feuer und Pech vom Himmel regne. Was blieb ihnen übrig, als das Kornfeld an den Meistbietenden zu versteigern? Das Gesinde wurde entlassen, ohne Lohn fortgeschickt. Ob sie auch alle Winkel durchstöberten und den letzten Batzen herauskrümelten, das kleine Sümmchen deckte die Rechnung der Advokaten nicht. Es ging um mehr, um das Haus und den Acker. Kratzine und Klauenmine, die verschrienen Bauerntöchter, sie mussten das väterliche Erbe unter den Hammer bringen.
Als der Tag der Versteigerung nahte, stiegen die Gläubiger mit einem Trüpplein Kauflustiger bergauf. Seit Wochen war Regen gefallen, und es goss und schüttete ohne Unterlass aus den offenen Wolkenschleusen. Donnernd schossen die Bäche und zischten Hals über Kopf zur schwindelnden Tiefe. Frierend und hüstelnd wanden die Leute sich aufwärts zur Alpenterrasse und hielten an. Durch den Nebel tönte Geschrei und Gepolter, es musste etwas nicht in Ordnung sein.
Die ganze Nacht hatten die Schwestern gelichtet, Rache und Vergeltung ausgebrütet für das Unglück, das sie sich gegenseitig in die Schuhe schoben. Bei Tagesgrauen stieg Kratzine die Treppe hinunter. Aus dem Hinterhalt stürzte Klauenmine auf die Schwester los, zerrte sie vor das Haus, und nun sprühte und schäumte der Hass wie aus einem Kessel, der plötzlich explodiert.
Zerschunden und zerkratzt, greifen sie nach den Milcheimern, reissen sich die Kleider vom Leibe, wälzen sich am Boden herum, stöhnen und quietschen wie Untiere.
Das Talvolk harrte im stockdicken Nebel, bis der Lärm verstummte. Gleichzeitig flaute der Regen ab, und unversehens stach die Sonne mit goldenen Lanzen in den feuchten Dunst. Im Glanz der Morgensonne stiegen die Schwaden, die Landschaft öffnete sich. Wo sind wir, wo ist das Haus, wo ist der Kornacker? Keine Sennerei, kein Feld, keine Ähre mehr! An Stelle des Ackers wogte die Flut hinüber zum Felsgewände, ein fast unabsehbares Gewässer, und auf den Wellen trieben, hin und her geschaukelt, die Leichen der bösen Schwestern.
Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.