Ja, ja, von dem, was die Alten erzählt haben, ist die Hälfte nicht wahr; aber ich will euch mit einer Geschichte aufwarten, die gewisse, sichere Wahrheit ist; unser Vater hat sie oft erzählt.
In des Hansen-Joders Haus zu Schwanden hauste einsam ein alter, alter, steinreicher Mann. Der ging hin und verlochete im Keller sein Geld, das er sich erhungert und errackert hatte, und dann legte er sich zum Sterben nieder, befriedigt, dass sich niemand an seinen Schätzen freuen könne. Am Dreissigsten, als die Erben teilen wollten, war kaum soviel Bargeld zu finden, dass es für die Totenkosten kleckte. Im Hause wollte es keine Knechte mehr tohlen, niemand wagte es, darin zu nächtigen, auch nicht die neuen Besitzer. Nach vielen Jahren meldete sich wieder einer als Knecht, ein Landsfremder und, wie sie meinten, nur so ein Löhli. Aber: »Probiärä gahd uber Studiärä«, dachten sie und stellten ihn ein. Er wurde von den Nachbarn davor gewarnt, im Hause zu übernachten, lachte aber dessen nur und bezog es fröhlich und heiter. Bei all seiner Arbeit pfiff er das St. Johannes-Evangelium. Schon am ersten Abend, während er sein Nachtessen kochte, warf es ihm Russ durch die Kaminschooss in die Küche herunter. Aber är häig äisster züe'pfyflet und 'kechlet und syg z'letscht mid'm Pfänndli i d'Stubä-n-innä, häig-si da chäch und fräch a Tisch anä gsetzt und mit Abädyt afah-n-ässä. Während er ass, kamen Menschengebeine durch das Ofenloch herunter geflogen, eines nach dem andern. Das genierte ihn nicht. Als nur noch der Schädel fehlte und eine Stimme fragte, ob 's 'Kuglä-n-oü noch sell riährä, rief er zurück: »Ja, 'Kuglä gheert zu dä Cheglä.« Da kam auch die »Totäschidälä« herangesaust, grad an ihren Platz, und jetzt ging ein Knarren und Krachen durch die Knochen, sie fügten sich zusammen zu einem vollständigen Menschengerippe; das stemmte seine Ellbogen, seine Hände gegen die Stubendiele, setzte sich auf, erhob sich, und da stand auch schon ein baumlanger, spindeldürrer Kerl vor dem Knecht, der immer noch am Tische sass und mit vollen Backen kaute. Als er aufschaute, deutete ihm das Gespenst, ohne ein Wort zu reden, mit Gebärden an, er solle ihm folgen. Der erhob sich vom Tische, schlurfte noch mit der leer gewordenen Pfanne in die Küche und schloss sich hierauf dem unheimlichen Gesellen an. Bei der Haustüre gab ihm dieser durch Zeichen zu verstehen, er solle Schaufel, Grebel und Hebeisen, die an der Wand angelehnt waren, ergreifen und mitnehmen. Auch diese Weisung befolgte er. Dann gings eine Treppe hinunter in einen Keller, wo ihm wieder stumm angedeutet wurde, er solle da graben. Er grub und kam auf eine Steinplatte, und uff deerer syg äs Chrettli g'grüppet. Das solle er mit der Schaufel entfernen, deutete der stumme Führer. Nicht ohne Mühe nahm der Knecht das Tier auf die Schaufel, schleuderte es zum Keller hinaus und lüpfte die Platte, unter der ein grosser Krug zum Vorschein kam. Den öffnete er mit dem Hebeisen und fand ihn mit Kupfermünzen bis oben gefüllt. Wieder wurde ihm zugemutet zu graben, und wieder stiess er auf eine Platte, worauf eine Kröte kauerte. Die aber hatte ein tüchtiges Gewicht, und är häig gheerig miässä sperzä, wo-nn-er-si uff d'Schüflä gnu und i Chäller üsa griährt häig. Unter der Platte erschien ein Krug mit glänzenden Silbermünzen, und darnach grub er zum dritten Male auf das stumme Geheiss des Unbekannten, grub und grub, bis er die dritte Steinplatte traf. Aber darauf hockte auch die dritte Kröte und glotzte ihn an. Ä wiättägä Pattsch! Die vermochte er nicht auf die Schaufel zu nehmen, da nützte alles Sperzen nichts. Sie hatte eine zu schytzliche Grösse. »Dr Chäib müess änäwäg üsä!« ermannt er sich, packt sie mit seiner Rechten bei einem Bein und schleudert sie über seine Achsel hinweg zur Kellertüre hinaus. Jetzt lüpfte er auch die Platte, hob einen Krug heraus, öffnete ihn, und da leuchteten und glitzerten ihm die herrlichsten Goldvögelein entgegen. Wie er sich freudestrahlend nach einem Führer umschaut, steht dieser ganz im Weissen da, schneeweiss wie ein Engel vom Himmel, bricht das Stillschweigen und dankt ihm, dass er ihn erlöst habe. Noch muss ihm der mutige Knecht geloben, das Geld des einen Kruges an die Armen auszuteilen und das des andern an den Bau einer Kapelle zu verwenden. Den Inhalt des dritten aber durfte er für sich behalten. Der Geist verschwand. Der fromme Knecht hat Wort gehalten und die Kapelle zu Schwanden auf dem Grundstück jenes reichen Mannes erbaut, und da steht wirklich noch heute eine und legt Zeugnis ab für die Wahrheit dieser Geschichte.
Fr. Müller-Imholz, 52 Jahre alt, von Unterschächen, und a.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.