Die alten Brückerig zu Spiringen haben erzählt, sie seien in ihrer Jugend unter einem Schulmeister gestanden, der sie allerlei Zaubereien gelehrt habe. Sie konnten schon lebende Mäuschen machen, bestellen, ein Fuder Griss aus einem Tobel heraufzaubern, die Leute, die an der Südseite des Tales von Obsaum herabkamen und Heubürden auf dem Kopfe trugen, von ferne zwingen, dass sie die Bürden ablegten. Einst bstellten sie den Pfarrer; aber jetzt kams aus, und der Schulmeister wurde entlassen.
Eines Tages sassen in einem Hause zu Spiringen Vater und Mutter plaudernd am Tisch, und so ein Schulmeitli sass bei ihnen oben auf dem Tische, die Füsse auf der Bank, und spielte mit einem Scherchen, das die Schneiderin, die bei ihnen auf der Stör war, auf dem Tische liegen hatte. Das Kind drehte die Schere so herum und sagte laut zu sich selber: »Wen-i jetz das Schärli zweimal so umträjä und diä Wort ... dazüe sägä, sä wird ysärä Bliämel chrank und wen-i nu einisch umträjä und diä viär Wort ... dazüe sägä, sä mües-er-ä metzgä.« Bliämel aber war die geblümte Kuh, die der Vater am Morgen verkauft hatte. Der horchte bei den Worten des Mädchens auf und fragte: »Jä, Chind, isch das wahr?« – »Ja, Vatter.« – »Sä machs.« Und das Kind machte es so, wie es gesagt. Der Vater stand sogleich auf, legte die Sonntagskleider an, nahm das Geld, das er für die Kuh gelöst hatte, und suchte sofort den Käufer auf. Und richtig hing Bliämel tot da! Der Bauer zahlte dem Käufer den Bliämel, weil er ehrlich sein wollte und selber schuld war, dass er musste gemetzget werden. Das Mädchen fragte er, wo es solches gelernt, und es sagte: »Beim Schulmeister.« Das ist eine wahre Geschichte, der Brücker ist selber noch mit dem Mädchen in die Schule gegangen.
Jos. Betschard-Brand, 66 Jahre alt, Muotatal
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.