a) An einem glanzheitern Sommernachmittag waren in jenen ebenen Matten zwischen Amsteg und Silenen, die man die Gründe nennt, Leute mit dem Einheimsen des dürren Heues beschäftigt, als ein altes, altmodisch gekleidetes Müetterli mit einem Häubchen auf dem Kopfe des Weges daherkam und sie anredete: »Mached iär de nur ä chly gleitig, äs chennt de nu eppä-n-einisch chu rägnä!« »Dü altä Stoder (Baumstrunk), dü bisch meini värrucktä!« rief unwillig ein grober, übermütiger Bursche, »bi dem glanzheitärä Schon chunnd's etz dänk chu rägnä!« Aber kaum war das Wybervölchli hinter der Ortflueh verschwunden, überzog sich der Himmel brandschwarz, und ehe man sich versah, schüttete es vom Himmel wie mit Zubern. Durch alle Ribitäler kamen die Ribenen, und die Wildbäche überschwemmten den Talgrund. »Da hend-s'es düä g'wisst!«
Der Ortspfarrer von Silenen vernahm die Geschichte, liess jenen Burschen vor sich kommen und machte ihm Vorwürfe wegen seiner groben Rede. »Ich kännä das scho, das isch nid äs rächts Müetterli«, sagte er, »das wohnt da änet der Ryss änä, im Platti. Lahnd iehr das la machä!«
b) Im Wald grad ob dem Platti hatten einst drei Holzarbeiter eine schwere Buche gefällt. Bevor sie sich zum Mittagessen begaben, schlugen sie mit aller Gewalt zwei eiserne Keile in den Stamm und sagten zueinander: »Die zwee Isäweggä nimmt-is etz ämel niemmer drüss!« Aber wohl! als sie zurückkehrten, da lagen die beiden Keile frei auf dem Baumstamme, und darin war auch nicht ein haarbreiter Spalt zu entdecken! Das hatte das Müetterli verübt.
c) Alle Fronfastenmittwoch in der Nacht ritt es auf einem weisstannenen Grissbesen, der vorn wie die Hörner an einem Hornschlitten gekrümmt war, durch die Intschiflühe hinauf und hinunter unter fürchterlichem Geschrei.
d) Es wurde auch nicht selten im Gruomwald, zwischen dem Wiher- und Opplital, beobachtet. Dort fällte einst ein Silener eine Tanne, und als er anfing dreinzuschlagen, da kam, mächtig rauschend, in einer Zeine dieses Müetterli durch die Äste herunter, stand vor ihn hin und klopfte ihm freundlich auf die rechte Schulter, indem es dazu sagte: »So so, güetä Ma, iähr schwitzet mein-i.« Und rauschte wieder in der Zeine durch die Tanne hinauf. Am folgenden Tag hatte der Mann einen geschwollenen Arm und war unfähig zur Arbeit. Er ging zum Ortspfarrer, aber der konnte ihm mit dem besten Willen nicht helfen und schickte ihn zu den Kapuzinern. Diese untersuchten ihn und fanden mehr als hundert Gufen in seinem rechten Oberarm eingedrückt.
e) Das war aber den Leuten doch zu viel. Sie wünschten, das unheimliche Weibervolk loszuwerden. Endlich haben sie es auch erwischt.
Ein fahrender Schüler unterrichtete die Leute: »Ihr wisst, dass jeder Hund an drei Füssen je einen Sporn trägt; wo aber ein Hund 12 Junge wirft, da ist immer einer dabei, der vier Sporen hat. Suchet nun einen Hund mit 12 Jungen und leset aus ihnen jenen aus, der die vier Sporen hat; ziehet ihn auf, und wenn er gross geworden und euch das Hexenmüetterli irgendwo zu Gesicht kommt, dann reizet den Hund auf's los, er wird es erwischen.« Die Silener, Steger und Gurtneller machten sich jetzt auf die Suche nach einem solchen Hund. Einen mit 9 Jungen fanden sie auch ziemlich bald, aber das war eben noch nicht der rechte. Sie mussten noch lange suchen, bis sie endlich in Göschenen einen Hund mit 12 Jungen erfragten. Der Besitzer trat ihnen das vierspörige Hündchen gerne ab, sie hätten sogar alle 12 Jungen geschenkweise bekommen, aber sie waren mit dem vierspörigen vollauf zufrieden. Nach einigen Jahren erblickten sie das Müetterli in den Flühen hinter Amsteg; sofort hetzten sie den Hund auf dasselbe los, der sprengte es in die Reuss und schwamm ihm volle drei Stunden weit nach bis nach Seedorf, wo er es endlich packte und an das Ufer schleppte.
Vor Gericht bekannte es: Der wirschisch heigs-em einisch ta, wossi-si im Wald innä Ronä värwandelt g'ha heig und d'Holzer bim Zabigässä uff der Ronä g'sässä syget und d'Mässer dri g'steckt heiget.
Es wurde zum Feuertod verurteilt.
Jos. Maria Tresch
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.