Schätze und Kristalle, die verschwinden

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

1. Am Bristenstock geriet ein Geissbub auf seltsame Weise in eine tiefe Höhle, in eine Strahlenkammer, die er sonst nie gesehen hatte. Da war es taghell. Es glitzerte und funkelte in allen Farben gar herrlich, und glänzende Zacken hingen in Menge von der Decke herab. Einen aus ihnen, der ganz besonders schön glänzte, schlug der unerfahrene Junge ab und steckte ihn in sein Hirtentäschlein. Daheim zeigte er ihn zufällig einem Erwachsenen; der beschaute sich das Ding, zeigte es einem andern, es wanderte von Hand zu Hand, und man war der einstimmigen Ansicht, dass es ein äusserst wertvoller Stein, vielleicht sogar ein Karfunkel sei. Verächtlich meinte der Knabe: »Hm, deerä sind doch gnüeg dert!« Aber trotz des sorgfältigsten Absuchens war und blieb die Höhle verborgen, verschlossen.

Jos. Maria Zberg, 75 J. alt, Silenen

2. Ein Geissbub fand »auf den Bächen« in Fellenen einen Haufen rote Plättchen. Sie gefielen ihm, und er nahm daher einige aus ihnen mit heim. Zu Hause wurden sie als Gold erkannt, und befragt, woher er sie habe, erklärte der Bub, es sei noch ein ganzer Haufe »auf den Bächen« zu finden. Aber, als er die Stelle wieder fand, erspähte er kein einziges Plättchen mehr. Ähnlich erging es einem Bergführer, der in einer Gand am Bristenstock einen Kristall glitzern sah, und vorerst die Fremden auf einen sichern Ruhepunkt führte.

Jos. Gamma, 30 J. alt, Gurtnellen

3. Einer der glücklichsten Strahler und Jäger erzählte dem noch lebenden alten Balz am Lungenstutz, er habe einmal am Bristen zwei glänzende, hämpflige Steine gefunden und einen derselben heimgenommen. Er erfuhr, dass es Diamanten seien. Den zweiten Stein konnte er nie mehr finden, obwohl er die Stelle genau kannte.

J.J. Jauch, Bristen

4. Am Bristenstock geriet ein Älpler in eine Höhle, die er noch nie gesehen hatte. Er schaute sich da tüchtig um und sah das lautere Gold von der Decke und längs den Wänden herab tropfen. Schnell lief er zur Alphütte, holte ein Fräßchessli 1 und stellte es unter. Als er aber später das volle Chessli holen wollte, fand er weder dieses noch die Höhle mehr.

Jos. Maria Epp, 80 J. alt, Bristen

5. Gebhard Kieliger, der Zwerg von Amsteg, weiss zu erzählen: »Einisch, das ich im Platti änä (sein Landgut) d'Kiäh ggäumt ha, ha-n-ich so ä Steiplattä üffglipft, und da sind drundert ä ganzä Hüffä deerä goldgälwä Cheeräli virächu, sind gsy i der Greeßi wiä Gufächnepf und hennt gglänzt wiä Goldnapälieentli. I dem Äugäblick isch grad ä Chüeh ibärä Hag ibärä gsprungä und i Schachä-n-appä gliffä. Ich ha 'tänkt, diä Cheeräli ärggahet miär nitt, und ha der Stei la ghyä-n- und bi der Chüeh nachä. Und darnah, wo-n-ich diä zrugg 'tribä gha ha, ha-n-ich diä Cheeräli wellä ga nä, aber da isch keis einzigs meh ummägsy. Ich gläubä, wenn ich da eppis Gsägnets drüff gleit hätt, sä wäret-s nitt verschliffä.«

6. »Meiner Mutter Bruder, Kempfen Maria,« so plaudert ein Schächentaler, »und ein guter Freund kamen gegen Abend von der Ruossalp her gegen die Balm. Nicht weit vom Wächtersbutzen hinter einem runden Felskopf in einer Gand sahen sie's auf einmal glitzern und funkeln zwischen den Steinen. Neugierig gehen sie hin, um zu schauen, und finden eine grosse Zahl der herrlichsten schwarzen, weissen und rosaroten Strahlen, mit denen sie ihre Taschen und Ränzchen füllen, so gut es ihnen möglich ist. Im Herbst kehrte in ihrer Alphütte auf der Balm ein fremder Herr ein. Sie zeigten ihm ihren Fund, und er begehrt, die tadellosen Kristalle zu kaufen. Die Leute forderten einen anständigen Preis, so dass sie glaubten, einen guten Taglohn gemacht zu haben. Der Herr bezahlte sofort bar und sagte: »Wenn'r scho diä Summä fyfmal iberstitzt hättet, so wär der Prys nu nytt z'hochä g'sy. Wenn'r nu meh settig findet, so wil-ich-s' gärä-n-abnä und güet zahlä.« Selbstverständlich machten sich die Unsrigen bald auf den Weg, um sich einige gute Taglöhne zu sichern. Sie finden den runden Felskopf, finden die Geröllhalde, aber keinen einzigen Kristall und keine Spur von Kristallen.« (In Wirklichkeit wird es in dieser Gegend höchstens Kalkspat geben).

Daniel Imholz, 50 J. alt

7. Johann Tresch von Gurtnellen, 72 Jahre alt, genannt der Präzis, wusste mir 1911 zu erzählen: »Der Waldi-Seppi und sein Bruder, der Baschi, und ich waren eines Tages oberhalb des Heimbüel im Wildheu. Der Seppi, ein furchtbarer Schabi, wie er gewesen, ging etwas von uns weg, um eine kleine sumpfige Stelle, die mit ganz jungen Droslen bewachsen war, abzumähen, denn diese geben, gedörrt, ein vortreffliches Futter für die Ziegen. Als er wieder zu uns kam, erzählte er, er habe da oben plötzlich in eine nicht gar tiefe Erdspalte hinabgesehen, die wie Gold geglänzt habe und dicht mit den herrlichsten rosenroten Strahlen bewachsen gewesen sei. Weil er kein Instrument bei sich gehabt, habe er's nicht gewagt, eine aus ihnen abzubrechen. »Morgen wollen wir geeignetes Werkzeug mit uns nehmen.« Wirklich nahmen wir am folgenden Tag ein Spitzeisen und einen Grebel mit uns und suchten die Erdspalte; aber um kein Geld hätte sie der Seppi finden können, obwohl er doch die Stelle ganz genau gekannt hat. – Ja, das hennt diä Altä mängisch gseit, wem-mä-n-äso eppis findi, sä sell mä-n-eppä-n-eppis darzüe tüe, und wennd's nur äs Mässerli syg uder ä Hüet, susch tiäg-si-si wider schliäßä. Und so isch-es brezys!«

Ähnliche Erlebnisse erzählten mir auch andere Personen aus dieser Gegend. Die Geschichte wurde mir 1920 von Waldi-Baschis Sohn bestätigt mit der Behauptung, sie sei sicher wahr.

8. Pfarrer Alois Regli († 1879) in Wassen hat Folgendes aus dem Munde des Kaplans Meyer († 1871) von Ursern, genannt der »chly Herr«, eines eifrigen, weithin bekannten Kristallsammlers, gehört: Eines Tages spazierte ich in den Gassen von Andermatt. Da sah ich mehrere Kinder miteinander »detzlen«. Ich gehe zu ihnen und entdecke, dass sie zwei sehr wertvolle Bergtopase zum Spiele gebrauchen. »Woher habt ihr diese zwei schönen Steine?« frage ich. »Meine Mutter hat sie mir gegeben,« antwortete ein Knirps. Ich begebe mich sofort zu dieser Frau und erkundige mich bei ihr. Sie erklärt: »Die Steine habe ich in der Unteralp gefunden; sie hingen in einer Felsenhöhle, und, wenn Sie wünschen, kann ich Ihnen einen ganzen Korb voll solcher herbeiholen.« Freudig nehme ich das Anerbieten an und verspreche der Frau, die Steine gut zu bezahlen. Sie machte sich auf den Weg, um an dem ihr so wohlbekannten Orte die gewünschten Strahlen zu holen. Doch Höhle und Topasschatz waren verschwunden.

Professor Josef Wipfli von Wassen, 1910

9. Ein Wassner, der noch lebt, war einst am Schysslaue-Schyen beschäftigt. Er wollte ein wenig g'hirmen und setzte sich deshalb auf einen Stein. Da tat sich auf einmal vor ihm ein grosses Loch auf im Erdboden, und da drinnen steckte ein Strahlenzinken am andern, einer schöner als der andere, und zu innerst sah es aus wie ein Altar, so schön aufgebaut, wie von kunstgeübter Menschenhand. »Jetzt gehst du heim,« sagte er sich, »und sagst, was du gesehen, und morgen holst du mit Hilfe von Kameraden die herrlichen Strahlen.« Gedacht, getan. Aber am folgenden Tage suchten sie vergeblich. Er hätte, bevor er heimging, sein Nastuch darauf werfen und zurücklassen sollen; dann wäre der Schatz nicht verschwunden.

10. Ein anderer Mann der nämlichen Ortschaft traf am Hörnli ob Wassen einen schwarzen Stein an von der Grösse und Gestalt eines Totenbaumes; ein höchst merkwürdiges Stück! Er probierte ihn zu heben, war aber dazu nicht imstande. Als er Hilfe herbeigeholt hatte, war der wunderbare Kristall nicht mehr zu finden. – Das sind denn aber zwei wahre Geschichten!

Emil Baumann-Muther, 35 J. alt

11. Ein Mann von Spiringen lenkte seine Schritte dem Brunnital zu. Unterwegs sah er sich genötigt, der unerbittlichen Natur einen kleinen Tribut zu entrichten. Zu diesem Zweck begab er sich in das Gädemli in der sogenannten Altenrütti. Während seiner Verrichtung sah er auf einmal ungezählte, glänzende Goldstücke auf dem Boden umher liegen. Sobald er sich aber erhob und den Mammon sich aneignen wollte, war die ganze Herrlichkeit verschwunden. – Hätte er vorher, so glaubte der Erzähler, schnell sein Skapulier oder das Bätti darüber geworfen, so wäre es nicht so misslich gegangen.

Mitgeteilt: Pfr. Jos. Arnold

12. In der Harnischplangg zu Realp fand ein Geissbub eine Pfanne voll Gold. Er legte einen Schuh dazu; als er jedoch am Abend die Ziegen zutale trieb, war der Schuh noch da, aber die Pfanne mit dem Gold war verschwunden, versunken.

Michael Simmen, 68 J. alt

13. Eine Wassner Familie hatte im Meiental tagsüber gearbeitet. Beim Nachhausegehen am Abend blieb eines ihrer Kinder im Fehdenwald zurück, und erst, als die Eltern und grössern Geschwister schon fast daheim waren, holte es sie wieder ein, brachte aber zwei alte Krontaler mit. Gefragt, wo es diese gefunden, sagte es, im Fehdenwald habe es deren ein ganzes Gänterli voll gesehen. Am nächsten Tage suchte die ganze Familie, wie man leicht erraten wird, gemeinschaftlich den wunderbaren Schatz, fand aber zu ihrem grossen Bedauern kein Gänterli und keine Krontaler.

Fr. Walker-Baumann, 80 J. alt, Gurtnellen

14. Ob dem Ried hinter Amsteg, nordöstlich der Langlaue ob (?) dem Wald, findet man uraltes, kolossal festes Gemäuer und tiefe Löcher in dem Erdboden. Man nennt es »Heidägmyr«, weil es von Heiden, die hier nach Erzen gruben, soll erbaut worden sein.

Zwei Geissbuben fanden hier eines Abends, als sie die Geissen heimtrieben, drei Häfen voll Gold. Sie dachten, »das entgeht uns nicht«, trieben die Herde heim und begaben sich am folgenden Morgen dahin, um den Schatz zu holen. Der war aber verschwunden.

Ambros Zurfluh, Silenen, 70 J. alt

Am Abhang des Bristenstockes ob dem Ried finden sich das Schmittental, die untere und die obere Schmitten-Egg; dort stösst man ebenfalls (wenn nicht identisch mit dem obgenannten Heidengemäuer) auf alte Mauern und Erdhöhlen. Dort sollen Heiden nach Erzen gegraben haben. Ihre kleinen Kühlein, die laufen konnten wie Ziegen, trieben sie auf die Schmittenplatten zur Weide.

Jos. Zgraggen, Rütlipächter

15. An einem sonnigen Karfreitag war es während des Vormittagsgottesdienstes, als einige »Gofä« in der Burgruine Attinghausen spielten und da plötzlich auf eine Menge silberner Platten stiessen, die lustig im Glanz der Sonne funkelten. Eine davon, aber nur eine, denn sie ahnten den Wert ihres Fundes nicht, nahmen sie mit nach Hause. »Aber Chindä, wohär hennd iähr etz diä Plattä? das isch ja lütterleetigs Gold!« fragte freudig erstaunt der Vater. – »E, uß der Burg; dert sind nu ä ganzä Hüffä!« Man kann sich denken, dass die guten Leute sofort eifrigst nachforschten, aber, o jerum! Da waren nu hooch nu nooch keine mehr zu finden.

David Imhof, 45 J. alt, Seedorf, u.a.

16. Marianna Ziegler, geb. Hartmann, zu Bauen, aber gebürtig von Attinghausen († 1900, 80jährig), erzählte ihren Kindern: »Ich und andere Gofä spielten eines Tages im Gemäuer der Burg, und da lagen soviele Fünfliber auf dem Boden herum, dass wir damit grosse Beigen und Rollen machen konnten. Einige davon nahmen wir mit uns heim, als wir aber zu Hause anlangten, hatten wir statt der Fünfliber nur mehr Steinplättchen in den Händen.«

Marie Ziegler, Bauen

Fußnoten
1 Das Kupferkesselchen, in dem die Älpler ihre Speisen kochen. Der Reisbrei, Fänz und ähnliche Speisen werden darin auf den Tisch gebracht und daraus gegessen, Kaffee, Milch, Süffi aber im Fräßmuttli aufgetragen.

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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