Meiner Mutter Schwester und ihr Mann wallfahrteten einst nach Einsiedeln. Auf der Schifflände in Brunnen gesellte sich ein Wybervölchli von schwarzer Gesichtsfarbe zu ihnen und sagte, sie hätten einen Schatz in ihrem Hause, den es ihnen offenbaren wolle, wenn ihm die Frau die goldenen Ohrenplampen und, ich meine, auch den goldenen Fingerring schenke. Die Base gab ihm das Gewünschte; die Fremde sagte, sie werde dann einmal zu ihnen kommen, und ging weg. Richtig, nach längerer Zeit kam sie einmal in das Haus. Sie zeigte ihnen ein Ei und sprach zweimal darüber: »Im Namen der 99!« Dann öffnete sich das Ei, und es kamen eine »Totäschidälä« und Haare darin zum Vorschein. Nun sagte die Fremde: »Werfet nie Haare in das Freie, sonst könntet ihr ein lebenslängliches Kopfweh auflesen! Was den Schatz anbelangt, so muss ich noch acht Duplen haben, dann werde ich euch Aufschluss geben.« Nach einigem Zögern gab ihr die Base die acht Duplen. Da meinte die Fremde: »Ich werde wieder kommen. Bei euch zu übernachten, habe ich keine Gewalt!« und ging. Das war am Vorabend vor dem Muttergottestag zu Mitte Augsten. Als sie das Haus verlassen hatte, hörte man sie schreien. Sie kam nie mehr. Jetzt gingen meine Vetterleute zu den Jesuiten, und die sagten, ja, es sei ein Schatz in ihrem Hause, der von einem Geist bewacht werde. Es habe da vor Zeiten ein Edelherr gewohnt. Sie und ihre Verwandten und alle, die Anrecht auf den Schatz haben, sollen alle Abende in dem Hause zusammenkommen und miteinander beten. Dann werde der Geist erscheinen, und ein unschuldiges Kind soll ihn anreden. Aber dann dürfe niemand drein reden. Die Verwandtschaft kam nun alle Abende in dem Hause zusammen und betete. Eines Abends – mein Vater war zufällig diesmal nicht unter den Betern – erschien der Geist. Er sah aus wie ein Geistlicher im Chorhemd. Ein unschuldiges Kind, das man unterrichtet hatte, trat vor und redete ihn an: »Ich rede dich an im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit. Wenn ich Dir kann behilflich sein zur ewigen Seligkeit, so dinge ich mir das erste und letzte Wort aus.« Da reichte ihm der Geist die Hand, und die Mutter des Kindes, aus Furcht, der Geist könnte ihm die Hand verbrennen, rief: »Maryeli, gib-em der Dechizipfel!« Da entstand ein furchtbares »G'schäry und G'rimpel« im Hause; der Geist verschwand, und der Schatz blieb ungehoben. – Die Geschichte hat der Erzähler mit folgenden Worten eingeleitet: »Herr Pfarrer, die Geschichten, die ihr da erzählt, glaube ich nicht; ihr wollt uns da Bären aufbinden. Aber ich will euch eine wahre Geschichte bringen.«
Alois Zgraggen, Schattdorf
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945,
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.