Schatz und dreibeiniger Ziegenbock

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

1. Ein reicher Bauer hatte drei Töchter und einen Knecht, die er alle sehr strenge hielt. Er wurde krank und legte sich ins Bett, und da war an diesem Abend gerade Tanz in einem benachbarten Wirtshaus. Dem Knecht und seinen Töchtern empfahl er, auch an den Tanz zu gehen und sich lustig zu machen. Solches war nun ganz gegen seine Art und Gewohnheit; es war etwas Unerhörtes, und der Knecht fasste Argwohn und dachte, der Bauer planiere etwas. Wohl begleitete er die drei Jungfern zum Tanz, aber bald verliess er das Wirtshaus, schlich sich heimlich davon und verbarg sich im Gaden. Gegen Mitternacht ging die Gadentüre auf, und herein trat der Bauer und grub ein grosses Loch in den Boden. Dann brachte er einen Hafen voll Geld herbei und stellte ihn neben die Grube, dann noch einen und noch einen dritten. Jedesmal aber, wenn der Sonderling hinausging, sprang der Knecht aus seinem Versteck heraus und nahm eine Handvoll Geld zu sich. Endlich stellte der Bauer die herbeigebrachten Vorräte in die Grube und bedeckte diese sorgfältig, dass wohl niemandem je in den Sinn gekommen wäre, hier sei ein solcher Schatz verborgen. Und dann sprach er laut und feierlich: »Das Gäld müeß da sy und da blybä, bis Einä, wo-n-äs rots Mäntäli a'het, uf-ämä wyßä Geißbock, wo keis schwarzes Häärli und nur dry Bei het, drymal drüff hin- und härfahrt!« Einige Wochen später starb der wunderliche Geizkragen, und da fanden die Töchter zu ihrem grossen Schrecken gar kein Geld vor, nicht einmal die Totenkosten konnten sie zahlen. Und sie hatten doch immer so gerackert und gespart! Jetzt trat der Knecht vor und machte den Vorschlag: »Wenn mich eine von euch dreien heiratet, so will ich das Geld herschaffen.« Als die älteste sich bereit erklärte, kaufte er einen schneeweissen Geissbock, band ihm ein Bein an den Leib hinauf, legte sich ein rotes Mäntelchen an und ritt auf dem Tier dreimal über die Grube hin und her. Diese öffnete sich und gab den Schatz heraus, und jetzt war allen geholfen.

J.J. Huber, 80 J. alt, Sisikon

2. Ein Bauer vergrub ein Eisenchessli voll Geld hinter der Rischi, als ihm der Knecht aufpasste, dem die häufigen nächtlichen Ausgänge des Bauers aufgefallen. Der Bauer sprach: »Dies Geld soll niemand bekommen, bis einer auf einem dreibeinigen, weissen Geissbock dazu reitet.« ... Sie kauften ein weisses Kitziböckli, nahmen ihm ein Bein ab und zogen es sieben Jahre auf, bis es imstande war, einen zu tragen. Der Knecht ritt selber, weil es sonst niemand wagen durfte, mit Schaufel und Grebel bewaffnet, auf dem Tiere, das weder geleitet noch angetrieben werden musste und von selber auf die Grube lossteuerte. Als er auf die Steinplatte kam, die das Geld bedeckte, hockte eine schreckliche Kröte darauf. Er fasst sie rasch auf der Schaufel und wirft sie unter dem Geissbock hindurch durch die Gadentüre hinaus. Sie liess dabei einen schrillen Schrei ab. Die Erben teilten den Schatz mit dem Knecht.

Jos. Maria Gisler, Bürglen

3. Im Schafgädemli zu Attolfingen zwischen Seelisberg und Emmetten übernachtete einst, im warmen Heu gebettet, ein Reisender. Gegen Mitternacht erweckte ihn ein Geräusch. Es kam ein Bauer herein mit einem eisernen Hafen voll Geld und verlochete es im Untergaden im Boden, indem er laut dazu die Verwünschung aussprach: »Dieses Geld soll niemand bekommen, ohne wer auf einem dreibeinigen, schneeweissen Geissbock in den Stall hinein und über die Grube hinwegreitet.« Bis jetzt hat noch niemand diesen Schatz gehoben. Ihrer drei Seelisberger wollten sich einmal darüber hermachen, aber diä sind eiswägs wider chu! Ä b'hiät-is, wiä heig das afah rumplä-n- und g'wirbä-n-i dem Gädemli innä!

Josef Maria Aschwanden, 60 J. alt, Seelisberg und Emmetten

4. Im Barnen eines Viehstalles übernachtete ein Bettler. Etwa um Mitternacht weckte ihn ein Geräusch. Es kam der geizige Bauer mit einem Sack voll Geld herein, stellte ihn auf den Boden und entfernte sich wieder. Rasch stand jetzt der Fremdling auf und füllte sich eine Hosentasche mit dem Mammon. Als der wunderliche Kauz zum zweiten Mal mit einem Sack voll kam, schien es einen Augenblick, als hätte er den Diebstahl bemerkt, denn er murrte bei sich: »Wenn d'chenntisch meinä, äs hätt-d'r epper drüßgnu, sä meintisch-es.« Doch stellte er, ohne weitere Nachforschungen anzustellen, seine Bürde hin. Der Übernächtler allerdings wagte es nicht mehr, einen zweiten Griff zu tun, als der Bauer hinausging und den dritten Sack holte, den er dann mit den zwei ersten in eine Grube versenkte. Über den so verborgenen Schatz sprach er jetzt laut: »Dieses Geld soll erst erhalten, wer auf einem fünfjährigen weissen Geissbock, der bloss drei Beine und kein schwarzes Härchen hat, rückwärts in den Stall hinein und über die Grube hinwegreitet.«

Jahre verstrichen, der Sonderling starb, die Kinder waren enttäuscht, weil nichts zu erben war, und klagten laut und bitter, dass sie nun arme Leute seien. Das kam auch jenem Bettler zu Ohren; er ging hin und entbot sich, gegen ein Geschenk das Geheimnis zu offenbaren. Die Geschwister versprachen, ihn reichlich zu belohnen, und da zeigte er ihnen den Ort, wo ihr Vater das zusammengescharrte Geld verborgen, und belehrte sie, wie es zu heben sei. Es gelang ihnen, ein junges, glänzendweisses Ziegenböcklein zu erwerben; das zogen sie fünf Jahre mit Milch auf, und dann ritt einer der Söhne auf dem gewaltigen Tiere rückwärts in den Stall und hob den Schatz.

Frau Gamma-Gamma, 80 J. alt, Schattdorf; Fr. Mattli-Bissig, 80 J. alt, Bürglen

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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