Ein Hirtenbüblein hütete auf Blüemlisalp die Schafe. Es sass bei einem Weidenstrauch. Da hörte es auf einmal einen herrlichen Gesang. Es lauschte und blickte dann um sich und ging dem Gesange nach und fand bald eine blühende Jungfrau, die auf einer Geldkiste sass und ein Fröschlein auf ihrem Schosse trug. Sie erblickte das Büblein und winkte ihm freundlich, sich ihr zu nähern. Es trat vor sie hin, und sie sagte: »Brich einen Weidenzweig und haue dreimal auf den Frosch auf meinem Schoss!« Das Büblein getraute sich nicht und lief davon zu seinen Schafen und erzählte am Abend alles seinem Vater. Dieser ermutigte es, das nächste Mal den Wunsch der Jungfrau zu erfüllen. Es werde ihm sicher nichts Böses geschehen. Am folgenden Tage ertönte der liebliche Gesang von neuem, und wieder winkte die Jungfrau dem Knaben und bat ihn, dem Tier auf ihrem Schoss drei Streiche zu geben mit einem Weidenrütchen. Er folgte, brach einen Zweig ab und zog auf, aber dreinzuschlagen getraute er sich nicht. Am Abend erzählte er seinem Vater, wie es ihm ergangen. Dieser ging mit ihm in ein Kloster und liess ihn einsegnen, und der Vater sowohl als der Abt des Klosters ermunterten den Knaben, den der Abt segnete, nach dem Wunsche der Jungfrau zu handeln; er habe nichts zu fürchten. Das nächste Mal gab er dem Tiere zwei Streiche, warf aber erschreckt das Rütchen weg, als der Frosch plötzlich anschwoll und Feuer spie, und lief davon. Die Jungfrau weinte und schrie überlaut und herzzerbrechend: »Auf 101 Jahre verloren!« und verschwand. Die 101 Jahre gehen jetzt ihrem Ende entgegen, und bald wird sich die Jungfrau wieder zeigen. – So habe ich es im Militär von hiesigen Soldaten erzählen gehört.
N. Geninazzi, 22 J. alt, Erstfeld
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.