Der Karfunkel

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

1. D's Maxä-Tonis Sepp von Bürglen hat erzählt: Unser Knechtli hütete eines Tages in der Alp Mättädall am Fusse des Rosstockes die Kühe. Auf einmal erblickte er in einer Gand ob ihm einen hellen Glanz; es glitzerte und strahlte wie die Sonne. Er lief hin und fand einen grossen Stein, von dem der Glanz ausging. Den Stein zerschlug er und versorgte ein Stück davon in seinem Hosensack. Am Abend, bevor er sich im Heu zum Schlafen niederlegte, steckte er ihn in ein Gwätti. Der Stein leuchtete jedoch die ganze Nacht hindurch so hell, dass der Bub in seinem Lichte ganz gut hätte lesen können, sofern er nämlich mit dieser Kunst vertraut gewesen. Dennoch verleidete er ihm, und eines Tages bekam ihn eine ungehorsame Kuh auf ihrem Rücken zu fühlen. Zufällig erzählte er uns später von seinem Fund, und wir sprachen darüber einmal mit einem Goldschmied. »Ach!« rief dieser aus, »hätte der dumme Bub doch nur die Gnade gehabt, den kostbaren Stein aufzubewahren, dann wäre er jetzt reich genug für sein Leben lang, reicher als der ganze Kanton Uri. Es war ein Karfunkel!« Jetzt gingen wir alle auf die Suche nach den zwei Stücken, die der Bub weggeworfen, konnten aber nichts mehr finden.

Alois Planzer, 18 J. alt

2. Mehrere Älpler hatten im Bergschyen und anderswo Strahlen gesammelt. Sie hatten viele beisammen und dieselben im Keller des Leonz Baumann aufbewahrt. Sie hatten den Keller halbvoll Strahlen, viele grosse und schöne Stücke. Wenn man in den Keller gekommen sei, hätten die Strahlen geglänzt und geleuchtet, wie ein schönes, sanftes Licht. Es sei dann einmal ein Strahlenkenner, der von diesen Strahlen gehört hatte, in die Alp gekommen. Der liess sich die Strahlen zeigen und sagte, als er sie gesehen hatte, er möchte nur eine kaufen; was sie verlangen, wenn er eine auslesen dürfe? Die Leute, die wenig Kenntnis von den Strahlen hatten, forderten und, wie sie meinten, ziemlich viel. Der Fremde besann sich nicht lange, bezahlte den geforderten Betrag, nahm eine Strahle und, wie sie glaubten, lange nicht die schönste, und ging talaus. Als die Leute dann wieder in den Keller kamen, wunderten sie sich nicht wenig, denn die Strahlen glänzten nicht mehr. Der Fremde hatte die Strahle, die den andern den Glanz gegeben, gekannt und mit sich genommen.

3. Drei arme Männer aus dem Ried, Pfarrei Amsteg, stiegen einmal gegen den Bristenstock hinauf, um Strahlen zu suchen. Endlich stiessen sie im Bristenstäfeli nach langem Graben auf einen Karfunkel; der glänzte und leuchtete wie die Sonne. Voll Freude und Stolz eilten sie nach Amsteg hinunter, taten da recht hoffärtig mit ihrem Fund und prahlten und luden eine grosse Gesellschaft zu sich ins Wirtshaus, i d's obärä Treschä. Hier legten sie ihren Karfunkel auf den Tisch und sprachen in ihrem gottlosen Übermut: »So jetzt, des Herrgotts Licht brauchen wir nicht mehr, dieser Stein zündet besser.« Sie schlossen am hellen, heiteren Tage sämtliche Fensterladen des Hauses und prassten, tanzten und jubilierten mehrere Tage hindurch. Nach einiger Zeit gingen sie wieder – auf die Suche nach Mineralien, sie hatten scheint's noch nicht genug. Aber diesmal fiel die Höhle ein, wo sie gruben, und bedeckte zwei von ihnen und tötete sie. Nur der dritte, wie einige behaupten, Hans Ambort, entkam gesund und heil. Dieser hatte im Bristenstäfeli (oder im Chliser) viele Rinder (oder 10 Kälber); aber er schaute nicht mehr nach ihnen aus; »meinetwegen können sie zugrunde gehen,« sagte er, »ich habe genug.« Eines Tages brachte ihm jedoch ein guter Nachbar die Rinder bis zum Hause. (Oder: Eines Tages am Herbst kamen sie alle von selbst im besten Zustande; auf der Stegerbrücke begegneten sie ihm). Da meinte der vom Glück Verfolgte: »Jetz 'prächt-i doch ds Glick mit keim Stäckä meh vom-mer äwägg!« Es verliess ihn aber später von selbst, und er kam allmählich »ganz liächtli« um all das Seine, so dass ihn zuletzt die Läuse auffrassen.

Josefa Walker, Ried, u.a.

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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