1. Eine mächtige Kröte, so gross wie der wollene Handschuh eines Holzarbeiters (eini wiä-nn-ä Händschä), hatte sich schon viele Jahre im Keller eines herrschaftlichen Hauses aufgehalten, und der Herr hatte seinen Dienstboten streng verboten, sie zu belästigen, und die Fehlbaren mit Entlassung bedroht. Da wurde dieser Herr auf den Tod krank. Jetzt kroch die Kröte aus ihrem Winkel hervor bis zur Türe bei der Treppe, und jedermann merkte, dass sie hinauszukriechen begehre. Auf Befehl des Herrn liess man ihr die Türe offen, und sie kam nun bis zur Haustüre, die ihr ebenfalls geöffnet wurde, Das gleiche Manöver wiederholte sich an der Krankenzimmertüre. Vor dem Bette des Kranken angekommen, wurde ihr ein Laden bereitgestellt, auf dem sie sich aufwärts bewegte, und droben legte sie sich gerade auf das Herz des Patienten. Binnen einer halben Stunde schwoll sie so gewaltig an, dass sie aussah wie ein kleines Muttli. Hierauf zog sie sich zurück, und draussen vor dem Hause barst sie entzwei. »Der Herr aber isch vo Stund a z'wägchu wiä-nn-es Liächtli.« Die Kröte hatte alles Gift und alle Krankheitsstoffe, die sich auf dem Herzen angesammelt hatten, an sich gezogen.
»Das het-mä-n-eißter g'seit, 'Krottä tiäget ds Gift a'ziäh.«
Daniel Imholz, 50 J. alt, Unterschächen
2. Ein Kind hatte die Gewohnheit, mit seiner Milchsuppe auf die Hausstiege zu gehen und sie dort mit einer Kröte zu teilen. Jedesmal, wenn es selber einen Brotbrocken gegessen, ergriff es mit den Fingern einen zweiten und gab ihn der Kröte ins Maul, indem es dazu sagte: »Ich eis – – dü eis; ich eis – – dü eis!« Später wurde das Kind krank. Da kam die Kröte ins Krankenzimmer, und man liess sie über einen Laden zu dem Kinde ins Gütschli hinaufsteigen. Sie legte sich ihm grad auf's Herz und schwoll alsbald gewaltig an. Nach einiger Zeit verliess sie das Zimmer. Das Kind wurde schnell gesund, aber die Kröte wurde nie mehr gesehen. »Diä Chrottä isch niämmer meh z'gseh chu.«
Paulina Tresch, 24 J. alt, Maderanertal
3. Einem Fuhrmann begegnete auf der Landstrasse eine Kröte. Mildherzig wich er ihr mit seinem Fuhrwerk aus. Nach einiger Zeit bekam er ein krankes, geschwollenes Bein, und es kam die Kröte etc.
Frz. Zgraggen, 20 J. alt, Schuster, Gurtnellen
4. Im Hause in der Muren zu Gurtnellen in einem Loch der Herdstattmauer hauste noch zu Menschengedenken eine mächtige Kröte, die sich am Tage ruhig verhielt, bei Regenwetter hingegen nachts auf Nahrung ausging. Solange die alten Leute lebten, liess man das Tier ruhig gewähren; als diese gestorben, töteten es die jungen Hausbesitzer. Da bekamen sie auf einmal fast alle – es waren ihrer zwölf – das Nervenfieber, und der Arzt sagte, sie seien selber schuld; hätten sie die Kröte leben lassen, so hätte diese das Gift angezogen und sie wären gesund geblieben.
Frau Baumann-Dubacher, 85 J. alt
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.