Im »Espen«, einem kleinen Plätzchen Allmendwiesland bei der Kapelle Getschwyler in der Gemeinde Spiringen, lebten ehemals Waldbrüder. So gewährte die Dorfgemeinde Spiringen am 15. Mai 17491 »dem Waldbruder Platz zu einem Rütteli an sein Häusli im Espen für sein Leben oder so lang er da bleibt,« und die Auffahrtsgemeinde vom 13. Mai 17792 bewilligte »dem Eremit Elias im Getschwyler im Espen zu Spiringen ein Blätzli Land zu einem Hausgärtlein«; im letztgenannten Jahre erhält »der Bruder im Getschwyler« auch vom Staate ein Almosen3. Während uns die schriftlichen Zeugnisse solches berichten, erzählt die kundige Sage weitläufig, warum der letzte Eremit im Espen fortgewiesen wurde.
1. Dieser hielt den geweckten Kindern aus den Spiringer- und Unterschächnerbergen Schule. Aber, statt sie das Vater Unser zu lehren und in die Geheimnisse der Buchstaben und Zahlen einzuführen, betrat er mit ihnen das romantische Reich der Zauberei. Das war kurzweiliger; kein Wunder, wenn die jungen Bergleutchen mit voller Aufmerksamkeit dem seltsamen Lehrer lauschten und rasche Fortschritte machten. Schon hatten sie gelernt, Leute zu b'stellen und lebendige Mäuslein zu machen. Aber Beinchen konnten sie den armen Mäuslein nicht geben, und letztere rollten deshalb hilflos herum. Von all dem hatten die geistlichen und weltlichen Vorgesetzten der Gemeinde und die Eltern keine Kenntnis, denn die kleinen Schalke hielten auf Geheiss ihres pflichtvergessenen Lehrmeisters ihr Treiben und ihre Künste geheim. Eines Tages sahen mehrere dieser jungen Hexenmeister den Ortspfarrer, Peter Alois Arnold (Pfarrer zu Spiringen 1805–1831, † 1831), genannt der Strassmeister-Heer, bei Baldrig heraufkommen. »Wartet, dem spielen wir einen Streich, den b'stellen wir,« meinte einer von ihnen. Der Vorschlag wurde zur Tat; der Pfarrer stand plötzlich still und konnte einige Augenblicke nicht mehr vorwärts schreiten. Er war aber auch nicht von Dummbach und konnte mehr als nur Brot essen. Er vertauschte einfach die Schuhe an seinen Füssen, das heisst, den rechten zog er an den linken Fuss und den linken an den rechten Fuss (nach Andern schloff er nur aus den Schuhen), und damit war der Bann gebrochen. Weil er auf die kichernden Knaben Verdacht gefasst hatte, nahm er eine strenge Untersuchung vor, so dass die volle Schuld des heuchlerischen Waldbruders an den Tag kam. Das gläubige Volk vertrieb ihn und duldete seit jener Zeit keine Eremiten mehr im Getschwyler.
Pfr. Jos. Arnold u.a.
2. Bei dem Waldbruder (bei dem fahrenden Schüler) im Espen genossen mehrere der Alltagsschule entwachsene Burschen eine Art Weiterbildung. Von ihnen werden noch mit Namen genannt der Rytti-Jaggi-Märti, der Herger Lunzi, der Fuhrliger Mariä und des Bielen-Maxis Vater, die alle den ältesten Leuten der gegenwärtig lebenden Generation persönlich bekannt waren. In Wirklichkeit lehrte sie aber der Waldbruder allerlei Zauberstücke, und die Jungen hatten es darin schon ziemlich weit gebracht. Sie konnten echte, lebende Mäuschen machen, aber noch ohne Beinchen, etwas fliegen und brachten es zustande, dass die »Streiwipinggel« durch die Lüfte vom Schattigen her hoch über das Tal zu ihnen ins Sonnige hinüber geflogen kamen. Der Lehrer konnte es ihnen ganz antun. Einmal lief ihm der Herger Lunzi davon; er rief ihm ruhig nach: »Linzäli, geh dü nur, dü kommst bald wieder,« und wirklich kehrte Linzäli sofort um. – Es war an einem Festtage, der von Volk und Geistlichkeit in der Kapelle gefeiert wurde. Nach dem Vormittagsgottesdienste begab sich der Pfarrer heim, kehrte aber nach dem Mittagessen zurück zur Vesper. Unterdessen erlustigten sich die lebensfrohen Burschen, wie es damals Brauch war, am Kegelspiel4. Rasch verfloss die Zeit, und, als der Pfarrer bei Baldrig drunten sichtbar wurde, meinte einer der Spielenden: »Der hätt etz oi bi mym Eich, noch nitt so gleitig miäßä chu!« Einer der Zauberlehrlinge, die auch dabei waren, machte den übermütigen Vorschlag: »Noch! mer wennd-ä b'stellä!« Die Idee fand Anklang, und einer b'stellte ihn. Der Pfarrer kam nichts destoweniger, scheint aber den Zauber gefühlt zu haben, – är müeß-si doch dessä g'wahr wordä sy – denn, als er an den jugendlichen Sündern vorbeischritt, schaute er sie mit ernsten Blicken an und erhob drohend den Zeigefinger. Nach Beendigung des Gottesdienstes liess er sie vor sich kommen, verwies ihnen den Fehler und sprach ihnen väterlich zu. Offenherzig bekannten sie alles und bereuten ihr Unrecht; sie hatten nicht gemeint, schwer zu fehlen. Über ihren Verführer waren sie so erbost, dass sie ihm eines Abends eine Falle vor der Türe seines Häuschens einrichteten, die ihn beim Ausgehen unfehlbar erschlagen hätte. Er aber roch Lunte und flüchtete heimlich durch das Fenster von dannen. Das war der letzte Waldbruder im Espen.
Dan. Imholz
3. Einst marschierte einer dieser Zauberlehrlinge mit seinem Vater über den Urnerboden. Da sahen sie ein Vögelein an den Balken und Latten eines Hüttendaches herumturnen und bewunderten es, wie es oft nur mit einem Füsslein zunderobsi an den Balken hing. »Das kann ich auch machen,« meinte der Sohn und stieg auf das Hüttendach, turnte sich auf eine Dachlatte hinaus und hängte sich kopfunter mit einem einzigen Fuss daran. Der Vater merkte, dass solches nicht mit rechten Dingen zuging, und befragte den Bub, der bekannte, er habe das beim Waldbruder gelernt.
Zacharias Imholz
4. Die Leute zu b'stellen, das ging ganz einfach; sie besassen zu diesem Zwecke ein kleines Fadenchlungeli, wenn sie daran den Faden recht straff anzogen, b'stellte es die Person, die sie im Auge hatten; wickelten sie am Faden ab, so liess es sie wieder laufen. Mäuschen formten sie aus Dreck, legten sie auf einen Tisch, sagten etwas, und dann wurden sie lebendig.
Karl Gisler, 75 J. alt
Den sogenannten »Spratzli« zu Unterschächen haben diese Bürschchen öfters b'stellt.
Fußnoten
1 Altes Dorfbüchlein, Dorflade Spiringen.
2 Rüttibuch, Kts.-Arch.
3 Zeitschrift f. Schweiz. Kirchengesch. 1913, S. 136.
4 Heute ist in Spiringen, wo, wie man sagt, kein ebenes Plätzchen zu finden, dass nicht die Kugel in den Schächen rollen würde, das Kegelspiel ausser Brauch gekommen. Ein Gemeindebeschluss zu Spiringen vom 24. Mai 1779 verbietet bei zwei Gulden Busse das Kegeln auf dem Tanzhaus, weil Kegel hinausgesprungen und Leute beschädigt und bei gleicher Busse das Kegeln unter dem Gottesdienst, wie auch das Metzgen, Schindlenmachen und Holzscheiten. (Altes Dorfbüchlein, Dorflade Spiringen.)
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.