1. Ein Gurtneller Bursche wanderte zu nächtlicher Zeit von Amsteg her heimwärts. Es war damals noch die alte, schmale Saumstrasse. Wie er in die Nähe des Fellitobels kam, hörte er Musik, »äs Tanzspill«, und, sobald er um die Ecke bog und zum Brücklein im Tobel sah, nahm er unter diesem Brücklein einen hellen Schein wahr, und in diesem Schein tanzen eine Anzahl schwarzer Katzen, nicht etwa auf einer Diele, sondern über dem Wasser des Fellibaches, der unter dem Brücklein hindurchfliesst. Eine grosse schwarze Katze mit einem Stumpenschwanz spielt ihnen mit einer Handorgelen auf. Wenn sie etwa eine Pause macht, rufen die tanzenden: »Stumper, spill is wider einä-n-üff!« Wie gebannt bleibt der Wanderer stehen und schaut dem Spiele zu, bis auf einmal der ganze Zauber verschwindet. Nun setzt er seinen Weg fort, nicht ohne über das Geschaute nachzudenken. Am nächsten Morgen, beim Kalatzen, kommt die schwarze Katze der Meistersleute herbei; sie hat auch einen Stumpenschwanz, und jetzt ist es dem Burschen klar: »Das ist der Stumper, der gestern Abend unter der Brücke aufgespielt hat.« Er erzählt alles dem Meister und fragt scherzend: »Soll-er-es firha?« Der Meister hat nichts dagegen, und der Bursche fragt die Katze: »So Stumper, wo bisch nächtig gsy?« – »I ha miässä fort.« – »Jä, dä hesch-di mein-i luschtig gmacht und bisch bim Tanz gsy und hesch üffg'spillt!« Auf dies Wort verschwand die Katze und hinterliess einen furchtbaren Gestank.
Joh. Jos. Walker, Meitschligen, 70 J. alt
2. a) Stimper, so wurde Rothüsers Mäusejäger im untern Hof zu Schattdorf seines verstümmelten Schwänzchens wegen genannt, pflegte jeden Samstagabend auszugehen und erst am Morgen wieder zu erscheinen; während des Sonntages hingegen ergab er sich dem süssen Schlafe hinter dem Ofen oder in irgend einer warmen Ecke und liess die Mäuse feiern. Dieses pflichtwidrige Gebahren des Haustieres fiel zuletzt denn doch auf, und der Bauer fragte: »Washed ächt äu ysärä Stimper, dass der all Samschtigabed fortgaht und der ganz Sunntig üss eißter schlaft?« Endlich sollte es an den Tag kommen. An einem Samstagabend geschah es, dass Rothüsers Knecht, der auf Schattdorferberg das Vieh besorgte, Milch in den Boden hinunter trug. Im Häuschen im Rämeli (oder im Kellerberg) brannte Licht. Dort wohnten vier Meitli, die im Rufe standen, alte Hexen zu sein. Ab und zu kamen auch Burschen zu ihnen z'Gass, aber die meisten nur ein- oder zweimal; das absonderliche Betragen der Jungfern passte ihnen nicht. Der Knecht dachte, als er das Lichtlein sah, sie hätten wieder einmal Stubeten, ging hin und äugte neugierig durch das Fensterchen hinein. Da bot sich seinen Augen ein unerwartetes Schauspiel. In der Stube tanzten vier Katzen wie besessen, und auf dem Stubentisch (oder auf dem Ofen) sass die fünfte, ein weisses Nachthäubchen auf dem Grind, und spielte mit einem Knochen, den sie wie eine Mundharmonika brauchte, der lustigen Gesellschaft auf. Nach einer Weile nahm der Musikant den Knochen aus dem Maule und reichte ihn einer der Tänzerinnen hin mit den Worten: »Ich mag nimmä-n-orgälä, Stimper, tüe dü!« Da riss aber der Knecht die Augen auf! Richtig, die aufgeforderte Katze nahm das eigenartige »Mülorgäli« in Empfang und sprang auf den Tisch, und am Stumpenschwanz erkannte jetzt der Bursche den Stimper. Nun wusste er, warum dieser alle Samstagabend ausging und am Sonntage schlief. »Wer häd äu das 'tänkt!« Als am nächsten Morgen die Familie am Tische sass und frühstückte, da sprang auch die Katze auf die Bank hinauf und setzte sich neben den Knecht. Schmeichelnd und bettelnd rieb sie das runde Köpfchen an seinem Ellbogen und schnurrte gemütlich dazu. Freundlich blickte sie der Knecht an und sagte: »So, so, Stimper, nächtig hesch-di äu luschtig gemacht.« Da schoss das Tier urplötzlich auf ihn los, zerkratzte ihm wütend das Gesicht, lief davon, indem es einen scheusslichen Gestank zurückliess, und wurde nie mehr gesehen. Die Kratzwunden heilten nie ganz zu. Den vier Hexen im Rämeli aber legte ein Kapuziner das Handwerk, nachdem sie noch bekannt hatten, sie müssten im Auftrage des Bösen den Leuten Schaden zufügen, wofür sie jeden Tag fünf Schilling zu Lohn bekämen.
K. Tresch-Gisler, 80 J. alt, Seedorf; Zacharias Zurfluh, Erstfeld
b) Stimper ging jede Nacht aus. Der Meister schlich eines Abends ihm heimlich nach. Einsames Häuschen. Stimper trägt ein Licht auf dem Kopf und spielt mit einer Mundharmonika auf. Eine Schar Katzen tanzt, und, wenn Stimper mal aufhört zu musizieren, drängen sie: »Stimper, mach üff!« Ohne Ortsangabe.
c) Die Katze hiess Hermann. – Dass Stimper mit einem Knochen aufspielte, erzählte unter vielen nur ein einziger Gewährsmann.
Zäzilia Gisler-Walker; J. Zgraggen, Rütlipächter, 45 J
d) Zwei Burschen sahen das Licht im Rämeli, gingen, schauten hinein, sahen die tanzenden Katzen und den Stumpäschwanz, der aufspielte. »Lüeg da! ysärä Stumpäschwanz!« sagte der eine. Kaum gesagt, war das Licht erlöscht und Stumpäschwanz kam nie mehr zum Vorschein.
Frau Scheiber-Buhofer, Schattdorf
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.