1. Ein Wybervolch in Schattdorf war im Rufe, Gott b'hiätis darvor! ein alte Hexe zu sein. Einst schritt ein Schuhmacher – meine Mutter hat ihn noch gekannt – an ihrem alten, schwarzen Häuschen vorbei und dachte, heimlich lachend, bei sich: »Da wett-i etz doch äu nu lüegä, was d'r diä chennt a'tüe?« Als er heim kam, biss es ihn scheusslich am ganzen Leibe, und er zog die Kleider aus und musste nun sehen, dass er hoch mit Läusen bedeckt war, so dick, dass er sie abschaben musste. Jetzt wusste er, was alte Hexen einem antun können.
Marie Ziegler, Bauen
2. Ein anderes Mal marschierte ein Schattdorfer von Erstfeld her nach Hause. Am Rynächt gesellte sich ein wüstes, altes Weib zu ihm und begleitete ihn stillschweigend eine Strecke weit. Es war ein unheimliches Wybervolch, und der Wanderer dachte in seinem Herzen: »Bim Eich, das isch än alti Häx!« Nun geschehen ist im nichts, aber am Abend wimmelten alle seine Kleider von Läusen.
Nikolaus Zgraggen, 70 J. alt, Attinghausen
3. In den Frytterbergen im Schächental zog ein fremdes Fraueli herum. Die Leute fassten Verdacht, es könnte eine alte Hexe sein. In einem Hause fragten sie's, ob es auch Läuse machen könne. Da hob das Wybervölchli seinen Arm und blies über seine hohle rechte Hand hin. Die Leute lachten. Am Abend hatten sie alle ihre Kleider dicht voller Läuse, und das Lachen verging ihnen.
Kath. Wälti-Gisler
4. Eine Frau zu Bürglen stand im Rufe, mehr zu können als andere. Eines Tages liess sich ein Nachbar bei ihr die Haare schneiden; und er neckte sie dabei und sagte, sie könne nicht mehr als andere Menschen. Da meinte sie, sie werde ihm Läuse anhängen, bis er genug habe. Und richtig, als er heimkam, hatte er den Kopf voller Läuse. Er wurde ihrer nicht mehr los, da nützte alles Kämmen nichts. Endlich ging er zu den Kapuzinern, und diese befreiten ihn von seinem Übel.
Johann Gisler, 65 J. alt
5. Mehrere Schächentaler kamen mit ihren Mänenen von Unterschächen her durch den Stutz hinauf. Oben trafen sie ein sonderbares Weibervolk an, das mit einem schwarzen hölzernen Löffel an seinem Hals etwas hinter das Gewand hinunter schüttete. Es redete die Leute an und erkundigte sich über die Beschaffenheit des Weges über den Klausen. Diese wollten ihm den Weg zu beiden Seiten des Klausen erklären und beschreiben, es aber sagte, den Weg auf dieser Seite sehe es schon, den brauchen sie ihm nicht zu beschreiben, aber, wie er auf der andern Seite beschaffen sei, könne es nicht sehen. Es sei vor 20 oder mehr Jahren über den Klausen, da habe es lauter Zitronen und Pomeranzen bei sich getragen und jetzt nur mehr Läuse und Flöhe. Die Männer gaben ihm Auskunft und schritten dann weiter. Es hatte keinen guten Eindruck auf sie gemacht. Einer warf noch mit Schneeballen nach ihm. Als dieser nach Hause kam – in die Breiten – biss es ihn am ganzen Leibe schrecklich, und er machte die Entdeckung, dass er ganz in den Läusen drin war. Er war genötigt, draussen vor dem Hause sich seiner vom Ungeziefer wimmelnden Kleider zu entledigen.
Karl Brücker, Bürglen
6. »Das ist denn schon wahr; das habe ich selber erlebt und kann es bezeugen. Ich war noch so ein Bub. Da kam eines Tages ein fremdes Weib zu uns auf der Firlaui im Meiental und fragte übernacht. Wir überliessen ihr eine Kammer. Sie hatte ein Mädchen bei sich, das dann und wann reden wollte, aber nie liess sie es zu Worte kommen. Am nächsten Morgen wollte sie gar nicht fort, und wir mussten sie mit Gewalt vertreiben, da wir auf dem Felde zu arbeiten hatten und sie nicht vergaumen konnten. Seit jenem Augenblick aber hatten wir unser Haus den ganzen Sommer hindurch voller Flöhe, die wir auf keine Weise los werden konnten.«
Johann Baumann, 70 J. alt, »der Brügg«
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.