Die Kastenvögtin1 von Ursern übernachtete auf ihren Wanderungen durch das Unterland häufig bei der Familie des Melchior Jauch in Silenen. Eines Abends liess sie sich dort vernehmen: »Morä wird's dänk wellä-n-ä heissä Tag gä!« Am nächsten Tage begegnete ihr in der Schöllenen der Toneli Müller, ein Säumer von Ursern, den mein 80jähriger Erzähler noch gekannt, mit einem schönen kohlschwarzen Ross. Die Hexe erstellte sich und schlug dem Tier mit der Hand auf eine Laffe, indem sie dazu sagte: »Das isch doch ä scheenä Chohli!« Wenige Minuten später fiel das Saumtier mitsamt dem Bast in das Tobel und wurde von der wilden Reuss fortgespült. Der Geschädigte, der die Hexe wohl kannte, eilte ihr nach und erreichte sie auf dem Friedhof in Andermatt, wo sie, wie gewohnt, bei einem Weihwasserstein stand und mächtig die Augen verdrehte, mumpfelte und betete und Weihwasser in Menge über die Gräber spritzte. – Und heig da gfläderet! – Rasch packt sie der starke Säumer beim Haarschopf, hebt sie in die Höhe und dreht sie dreimal im Kreise herum. Jetzt war sie gefangen und wurde verbrannt.
Josef Baumann, 80 J. alt, Gurtnellen
Fußnoten
1 Gemeint ist natürlich die Schneidergret. Es scheint, dass mein Erzähler die Namen der Ursner- und der Muotataler-Hexe verwechselt.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.