a) Einst ritt ein reicher Ursnerherr über den Gotthard. Er kommt nach Mailand und sieht bei einem schönen Schloss einen Garten. In diesem sieht er die Schneidergret aus dem Urserntal; diese stahl da Zwiebeln und Lauch. Er kannte sie ganz gut. Der Herr ritt sofort wieder heim und zwar in einem Höllengalopp, dass ihm niemand hätte nachfolgen können. Wie er zu Hause sagt, er habe die Schneidergret in Mailand gesehen, wollte es ihm kein Mensch glauben; das Pflaster ging ja gar nie zum Dorf hinaus. Man spürte der Sache weiter nach, und zuletzt erwischte man die Gret doch einmal. An der Kirchweih (oder Fastnacht) wollte sie etwas Gutes kochen. Sie bringt Butter in die Pfanne und sagt, sie wolle ins Gärtchen, um Zwiebeln zu holen. Man schaut ihr zu, und auf der Stelle war sie verschwunden und, als der Anken die ebenrechte Schmelzhitze bekommen hatte, war sie mit den Zwiebeln, die sie in Mailand geholt, zurück. Ihr Mann traute ihr je länger je weniger und klagte, bis man sie einfangen wollte. Aber an das Abfassen wollte sich niemand wagen; es getraute sich keiner, das Gretli einmal zu packen. Da kommt ein fester Göschener und sagt, er wolle es versuchen. Er kommt mit einem Mistkarren (mit einer Benne), stellt ihn vor die Kirchentüre, und, bevor das Gretli aus der Kirche herauskommt und feste Erde hat, nimmt er es, schwingt es dreimal in der Luft herum und wirft es in den Karren. »Jeises, Jeises!« schrie das Gretli, »jetz isch es kschei (geschehen) um ds Chints (Chindlis) Milchli!«
Die Leute führen das Gretli an den Galgen zwischen Hospental und Andermatt, und da hatten sie einen grossen Scheiterhaufen bereit gemacht. Sie packen das Gretli und warfen es ins Feuer. Ein ganzer Trupp Kinder, die dabei waren, rufen: »Juhei, juhei, jetz heimmer ds Gretli im Sack!« Aber das macht ein paar Augen wie der Teufel und ruft: »Joh Chindä, hik kits de kwis e heißä Tak!« Auf einer Mauer steht ein Kätzlein, und das schaut so freundlich zu ihr herunter, und sie sagt zu ihm: »Jetz hesch schou lang uf-mi planget, jetz chasch-mi de hä!«
b) Es stellte sich heraus, dass sie ganz verkehrt gebetet hat; das Vater Unser z.B. fing sie vom Schlusse an und hörte mit dem Anfang auf. Man fand auch, dass sie betete: »Brigitä, Brigitä Hagstäckä,« und das moffelte sie immer so fort schnell nacheinander. Bei der neuen Kirche in Andermatt betete sie:
»Nägeli, Nägeli auf und ab,
Nimms Teufel aus dem Grab!«
Das wiederholte sie rasch. Es ward ferner bewiesen, dass Schneidergret schon vielen Schaden angerichtet habe. Sobald diese Taten ausser Zweifel waren, dachte man daran, sie in Schatten zu setzen, aber sie konnte nicht gefangen werden, denn, sobald sie mit einem Fuss auf die Erde kam, konnte sie kein Mensch mehr halten, sie war verschwunden. – Der Göschener packte sie in den drei höchsten Namen und drehte sie dreimal ringsum.
Schneidergret ist Hexe geworden, als sie eines Tages, unzufrieden mit ihrem Lose, sprach: »Wäre ich reich, ich wollte tun, was man verlangte.« Hernach begegnete ihr im Göschenerwald der Teufel, mit dem sie den Bund einging. Er gab ihr die Schoss voll Geld und die Kraft, sich unsichtbar zu machen und so schnell zu sein wie der Menschengedanke. Dafür verpflichtete sie sich, alle Tage für fünf Schilling Schaden zu machen. Der Teufel verschwand, und alsbald kamen Holzweiber, welchen sie das Geld zeigen wollte; wie sie die Schürze auftat, war lauter Rossmist drinn; sie blieb aber doch beim Akkord.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.