a) Klariden war einst eine prachtvoll schöne Alp. Die Kühe gaben einen unverschämten Schapf Milch, so dass man sie dreimal im Tag melken musste. Es wuchs nämlich daselbst das Milchkraut (Milchlichrüt), und das war voll Milch, und die Kühe zogen es jedem andern Kraut vor, sogar der köstlichen Muttern.
Da geschah es an einem St. Joderstag, dass der Senn von Klariden mit seiner Liebsten, mit der Kathry, nach Unterschächen an die Kilbi und zum Tanze ging. Zum Melken liessen sie den Knecht zurück. Aber der wäre auch gerne mitgegangen. Da wurde er wütend und wünschte das Milchkraut zum Teufel. Seitdem fressen es die Kühe nicht mehr. Die schöne, weisse Milch desselben verwandelte sich in Gift. Man nennt es jetzt das verwünschte Kraut, das Teufelskraut, Teufelsmilch, Flüechächrüt. Die Küher und Geissbuben malen oft mit dieser Teufelsmilch ihre Namen auf ihre Hüte; die Farbe sei unaustilgbar.
b) Nach anderer Erzählart hat die Hure Kathry das Kraut verflucht, weil sie gerne zum Tanze gegangen wäre. So auch zu Blümlisalp am Uri-Rotstock, wo sie einen solchen Überfluss an Milch hatten, dass sie mit Käse und Anken stegneten.
c) Das Milchkraut wuchs auch in der Brunni-Alp im Maderanertal und wurde auch dort von einer Sennerin verwünscht.
d) Auf den Schattdorferbergen waren die Leute beim Tanz und taten wüst. Da hätten sie heimgehen sollen, um zu melken. Sie hatten aber keine Lust dazu, und einer verwünschte das Milchkraut.
e) Das verwünschte Kraut wächst auf der Blümlisalp in Uri und ist wegen der Sünde der Sennen von Gott verflucht. Früher war es eine besonders gesegnete Pflanze, von der die Kühe viel Milch gaben.
f) Der Erste, der mir eine Spielart dieser Sage erzählte, war ein Bauer auf der Bärchi im Isental, ein gebürtiger Schächentaler. Er zeigte mir dabei die Potentilla Tormentilla und nannte sie Tyfelschrüt, Tormäntschrüt, Tormäntillchrüt. Doch ist er der Einzige geblieben, der mir die Tormentilla als das verwünschte Kraut bezeichnete. Alle andern Erzähler, und es sind derer viele, beschrieben mir als solches die Cypressen-Wolfsmilch (Euphorbia Cyparissias), und mehrere zeigten mir auch diese Pflanze. Der eine oder andere liess auch die Euphorbia helioscopia gelten, wenn man sie ihm vorzeigte. Im Maderanertal nannte man neben der Wolfsmilch auch den Ciprion und zeigte mir dabei die Rentierflechte (Cladonia rangiferina); eine Spielart der Sage, die wohl aus Graubünden eingewandert ist.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.