a) Es war zur Zeit des Beulentodes, als eines Morgens früh der Pfarrer (oder der Sigrist) zu Spiringen sich ankleidete und eben den einen Strumpf angezogen hatte. In diesem Augenblick hörte er im Freien ein Gemurmel wie von einem grossen Volkshaufen. Erstaunt eilte er zum Fenster, um zu sehen, was das sei. Da zog eine grosse Prozession vom St. Antoni her laut betend zur Kirche. Die Teilnehmer kannte er alle, es waren Kinder und Erwachsene, Männer und Frauen; den Schluss bildete ein Mann, der den einen Fuss mit dem Strumpf bekleidet hatte, während der andere Strumpf auf seiner Achsel ruhte. Als die Prozession vorüber war, ging der Pfarrer (Sigrist) ins Zimmer zurück und nahm auch den zweiten Strumpf von der Achsel, um ihn anzuziehen. In diesem Augenblick kam ihm in den Sinn, wer jener Mann am Schlusse der Prozession gewesen. Er sagte nun, wer alles aus seiner Gemeinde noch an der Pest sterben, und dass er selber der letzte sein werde. Und so kam es dann.
Daniel Imholz
b) Er hatte in der Eile und aus Versehen einen schwarzen und einen weissen Strumpf angezogen.
Ganz ähnlich wie unter a) wurde mir die Sage im Ried bei Amsteg und in Meien erzählt.
J.M. Arnold, gen. Ziller u.a.
c) Gegen Mitternacht erwachte der Sigrist zu Attinghausen und hörte es »Wysi läuten«. Er sprang aus dem Bett, zog eilig einen Strumpf an und lief zum Fenster. Da sah er eine grosse Schar Leute wie einen Bittgang laut betend zur Kirche ziehen. Er kannte sie alle. Sie waren schwarz gekleidet. Der Letzte im Zuge hatte nur den einen Strumpf an und das eine Hosenbein hinaufgestülpt. Der Sigrist folgte ihnen in die Kirche. Daselbst war sehr viel Volk beieinander, auch der Ortspfarrer war da. Es läutete zusammen, und der Pfarrer begann die heilige Messe. Ganz verwirrt lief der Sigrist nach Hause und fragte seine Frau, ob eppä ds Zytt b'standä syg. Sie erklärte, das sei nicht der Fall, es sei wirklich Mitternacht. Da erzählte er ihr alles, was er gesehen. Jetzt erst beachtete er, dass er ein Hosenbein hinaufgestülpt trug und nur mit dem einen Strumpf bekleidet war. Gut. Bald brach im Orte der Beulentod aus. Viele Leute, starben; eines nach dem andern von jenen, die der Sigrist in selber Nacht zur Kirche hatte wandern gesehen, wurde auf den Friedhof getragen, zuletzt auch der Pfarrer. Jetzt sagte der Sigrist, er werde zuletzt auch noch an die Reihe kommen, dann werde die Krankheit aufhören. Und so geschah es.
d) Der Beulentod lieferte soviele Attinghausener auf den Gottesacker, dass das Brandwasser durch die anstossende Matte hinunterfloss. Im Beinhaus war früher eine Inschrift:
Isch das nid ä grossi Chlag,
77 Jungfräuwä-n-in einem Grab?
Die Doktoren seien gekommen bis zur Brücke, und dann seien sie wieder umgekehrt.
Marie Ziegler
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.