a) Drei sehr starke Brüder, genannt die Portnerbuben, wohnten vor Zeiten im Fuhrport1 zu Spiringen. Sie waren keine Riesen, nicht viel über Mittelgrösse, aber ihre Brustkörbe hättet ihr sehen sollen! und ihre sehnigen Arme! Nerven hatten sie wie die Rosse! Bis zum 20. Altersjahre mussten sie keinen Werkstreich schaffen. Nackt streckten sie sich vor ihrem Hause im Sonnenschein auf der faulen Haut aus, und wenn die Mutter Anken einsott, tranken sie von dem frischgesottenen Anken und salbten und rieben auch Rücken und Arme damit ein.
Einst kam ein furchtbarer Riese über den See nach Altdorf und entbot die Urner zu einem »freundlichen Schwinget«. Niemand wagte es, mit ihm anzubinden. Der Vater der drei Brüder weilte gerade in Altdorf, und der Landammann von Uri liess durch ihn den dreien erbieten, ob sie nicht des Landes Ehre retten wollten. Lange haben sie mit einander »g'stucket«, welcher von ihnen dem Aufgebot folgen solle; der älteste und stärkste hiess den zweiten gehen und dieser den jüngsten und schwächsten. Nicht etwa, weil sie sich fürchteten, sondern weil sie glaubten, der jüngste sei noch lange stark genug. Endlich entschied die Mutter den Streit; sie hiess den mittleren gehen, weil er jeweilen den gesottenen Anken im Chessi um zwei Fingerbreiten tiefer hinab getrunken habe. Doch begleitete ihn der älteste. Sie trugen kurze Kittel und weisse Zipfelkappen. Der Landammann lud ihn zum Mittagessen ein, aber er sagte, er wolle es zuerst verdienen. Als er auf dem »Platz« anlangte, kam gerade der fremde Riese, brüllend wie ein Stier, auf allen Vieren durch das Dorf hinauf, riss Bsetzisteine aus der Strasse und warf sie wild um sich. Der Schächentaler, nicht faul, machte ihm dieses Kunststück nach. Als sie beim Löwen auf einander stiessen, da war es dem Riesen zu wenig, mit dem verhältnismässig kleinen Gegner nur einen »freundlichen« Schwinget auszumachen, und er forderte ihn zu einem Schwinget auf Tod und Leben heraus. Furchtlos ging der Schächentaler darauf ein. Mit einem kühnen, raschen Griff packte er den Riesen unter der Achsel, dass dieser aufbrüllte, drückte ihm die Brust zusammen wie einen Korb und schleuderte ihn rücklings über den Kopf hinweg über den Dorfbach hinüber auf das Strassenpflaster, dass er die Kopfschale zerbrach und tot liegen blieb.
Jetzt ging der tapfere Bursche mit dem Landammann zum Essen, schlug jedoch eine angebotene Belohnung aus. Erst auf erneutes Drängen meinte er, man könne ihm ja etwas Salz geben. Man liess ihm ein ganzes »Röhrli« herausholen, und der wackere Kämpe nahm es auf die Achsel und wanderte dem Schächentale zu. Bei Trudelingen hüpfte er mit samt seiner siebenzentnerigen Last in die Höhe und schüttelte mit einer Hand von den herabhängenden Ästen eines Baumes Nüsse herab.
Die Brüder hatten in Altdorf und Bürglen viele Feinde. Der weniger starke wurde einst zu Bürglen im Wirtshaus bei einer Tanzbelustigung angegriffen und zutode traktiert, aber von dem ältesten blutig gerächt.
Daniel Imholz, Schächental; Heinrich Baumann, Attinghausen
b) Die Brüder nötigten einander. Da sagte die Mutter: »Der jüngste, der Karli, soll gehen; er hat allemal ein Beckli voll Anken mehr getrunken als die andern«.
Josef Gisler, Getschwyler
c) Als der Riese den verhältnismässig schmächtigen Schächentaler erblickte, sagte er höhnisch: »Iähr chennetmer ä Hand a ds Fiddlä hindärä bindä; i nihmes glych nu midem üff.« Der Schächentaler aber entgegnete: »Dä chenntischi noch brüchä!«, packte den Riesen mit beiden Händen bi der Tinni, hob ihn hoch und zerschlug ihm an der Oberdiele die Hirnschale.
Jos. M. Herger, Grossobermatt
d) Dass ehemals die Burschen bis zum 20. Altersjahr nichts gearbeitet und deshalb so stark geworden, hört man nicht selten behaupten. Auch der 92-jährige Berger-Jaggli, den ältere Leute noch gekannt haben, und der in dem uralten grossen Hause neben der Sust im Dörfli zu Silenen wohnte, die alte Tracht, nämlich kurze Hosen, weisse Strümpfe und Schnabelschuhe, trug und in seinem hohen Alter den härtesten Käse mit seinen gesunden Zähnen ohne Schwierigkeit biss und verspeiste, habe bekannt, er und seine Geschwister hätten vor dem 28. Altersjahr »kei Wärchstreich g'schaffet.«
e) Auch von den starken Brüdern Stiger ab Morschach erzählt uns ein Seelisberger, der Augenzeuge zu sein behauptet, sie hätten sich im Freien halbnackt den Sonnenstrahlen ausgesetzt, gefaulenzt und Brust und Arme mit frischer Butter gesalbt.
Martin Zwyssig
Fußnoten
1 Jahrhunderte hindurch waren Fuhr und Fuhrport im Besitze von Personen aus dem Geschlechte Gisler. Die Sage aber behauptet nicht, dass die drei Brüder Gisler gewesen.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.