Schwager Leide

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Er war noch ein jüngerer Mann, der einmal den Postwagen geführt und eines Gebrechens wegen die Stelle gekündet hatte. Von seinem Beruf her war ihm die trockene Kehle geblieben und der Hang zum Würfelspiel. Immer in Geldverlegenheit, klopfte er in seiner Schwermut, da ihm der Schuldenvogt mit dem Landjäger gedroht hatte, auf den Tisch und fluchte: «Dass doch der Teufel käme und dem Ungemach ein Ende bereitete!»

Kaum gesagt, kracht der Boden und zischt eine grüne Flamme aus den Fugen. Mitten in der Stube spreizt sich der Herr der Unterwelt, pechschwarz im Gesicht, ein blattgrünes Hütchen im Genick, auf dem die Rabenfeder wippt. «Lustig, lustig, Freund Griesgram! Silber in der Tasche, Nektar in der Flasche, heilet, heilet alle Schmerzen!»

«Was begehrst du aber von mir?»

«Ein Kleines, nicht der Rede wert. Du darfst dich weder schneuzen, wischen, kämmen, noch darfst du dir je die Nägel schneiden und die Kleider wechseln! Auf Tag und Schlag sieben Jahre, topp!»

«Lass mir ein wenig Zeit zur Überlegung!» Die plötzliche Erscheinung, die Erfüllung seines Wunsches und jetzt das Ansinnen, sieben Jahre lang als Schmutzfink herumzulaufen, kitzelte ihm doch das angeborene Schamgefühl. Wenn nur das klare Gold nicht wäre, das auf dem Tisch so zauberisch funkelte und immer «Nimm mich,

nimm mich!» machte. Wer kennt nicht den betörenden Gesang? Topp, schlug er in die Pratze, und der böse Feind verduftete ebenso theatermässig, wie er gekommen war, mit Dampf, Gezisch und Feuer.

Schwager Leide zog ins Wirtshaus hinüber und entrichtete den Betrag für Kost und Logis auf sieben Jahre zum voraus.

Nebenan wohnte der Schuster mit drei Töchtern. Am Vormittag rüstig bei der Arbeit, ging er am Nachmittag den Kunden nach und beim ersten kühlen Lüftchen zum Wein und kurzweiligen Würfelspiel. «Borg mir zwanzig Kronen!» wandte er sich an den Wirt. Der kleine dicke Mann kraute im Haar, schob beide Fäuste in die Hosensäcke und erwiderte verdriesslich: «Ich habe just den Weinhändler auf Heller und Batzen ausbezahlt und bin auf der Druse. Pump bei Schwager Leide! Ist er auch ein Schweinigel, er hat Geld wie Heu und wird dir leihen.»

In der Tat war Leide ein unansehnlicher, zerlumpter Zigeunerfratz geworden, vor dem die Mädchen ausrissen, jedoch weichen Gemütes, knauserte er nicht mit dem Gelde. Zwanzig Kronen, was ist das für einen Krösus! Kurz und gut, er grübelte den Betrag aus der Schweinsblase, und der Schuster bedankte sich.

Geliehenes Geld zurückzugeben ist immer eine heikle Sache, zehnmal schwieriger als zu borgen. Dem Schuster fiel es gar nicht ein, die erhaltene Summe zu vergüten, hexen konnte er nicht, im Gegenteil, er war schon wieder auf dem Trockenen und musste um Vorschuss bitten.

Der Wirt schob ihn sachte in die bessere Stube, wo Leide noch speiste und den Rest des grauen Weines in den Becher goss. «Hier ist der Mann, der goldenen Trost austeilt», sagte der Wirt und zog sich zurück.

«Ich möchte mir einen guten Handel nicht entgehen lassen», begann der Schuster demütig, «und eine Rolle Kalbsleder einkaufen, ehe der Preis steigt. Sei so gut und gib mir das Geld!»

Leide blätterte ihm die Goldstücke auf die Hand. «Lass dir Zeit und begleiche die Schuld, wann es dir passt! Nur keine grauen Haare wachsen lassen!» Er fand nämlich Gefallen an den Schusterstöchtern, die nicht die feinsten waren, wohl aber guten Rufes, gesund und schaffig. Warum sollte er nicht heiraten und eines der Mädchen weiben? Werden sie sich abwenden, sich vor ihm bekreuzigen? Was bedeutet ein Köhlergesicht, wenn man im Geld wühlen und sich Haus und Hof, Knecht und Magd leisten kann! Noch ein Jahr, und er darf sich wieder waschen und kämmen und nimmt es mit jedem auf.

Als der Schuster den dritten Pump verlangte, schenkte Leide ihm das Glas voll, sprach dies, sprach das, landete in der Jungmädchenstube und fasste seine Hand. «Wieviel begehrst du? Ich hocke nicht auf meinen Schätzen und bin dir gewogen. Allein, du hast drei Töchter und gibst mir eine, gleich welche, zur Frau!»

Der Schuster hüstelte und ruckte den Sessel zurück, trommelte mit den kantigen Fingern auf der Tischplatte: Es braucht Appetit und Gottvertrauen, einen solchen Schmutzgockel zu heiraten. Er sagte es nicht. Er sagte nur: «Ich will meine Töchter befragen. Die zwei altern sind nicht mehr heurige Hasen, auch nicht die angenehmsten, das ist wahr, jedoch die Babette ist kein Unhold und täte mir leid.» Er trank aus und ging.

Zu Hause wurde die Mehlsuppe aufgetragen, und als sie alle vier aus der Zinnschüssel assen, hob er den Löffel und sagte: «Hört das Neueste! Schwager Leide geht auf Freiersfüssen. Habt ihr's noch nicht gemerkt? Streicht er nicht um eure Fensterläden und gurrt und ruckt wie ein verliebter Täuberich! Er wünscht sich eine von euch Dreien zur Frau!»

Ein geIler Schrei, und die Mädchen krümmten sich vor Ekel und Abscheu.

«Ihr wisst, wie viel ich ihm schulde», fuhr der Alte gemässigt fort, «wie reich er ist; ich sag' euch, er hat Geld, er könnte das halbe Dorf zusammenkaufen.»

Die Älteste schnitt eine Grimasse, als hätte sie in eine grüne Nuss gebissen. «Pfui, Teufel, so ein Rüsselvieh zum Mann, ich bring' den' Mut nicht auf und die Überwindung. Lieber würde ich mich hängen.»

Die zweite hämmerte auf den Tisch, dass die Löffel tanzten. «Und nochmals Pfui über den Aasgeier! Mich kriegt er nicht, eher springe ich ins Wasser.»

Babette bog den Scheitel züchtig und sagte leise: «Dem Vater zu lieb will ich ihn nehmen. In Gottesnamen» - mit einem lauten Seufzer stand sie auf und ging hinaus.

Langsam schlurfte der Schuster ins Wirtshaus. Sollte er ihm die Jüngste anbieten oder nicht? Das Schild blinkte, die Geldsorgen umdüsterten ihn wie schwarze Nacht. Das war die eine Seite. Den reichsten Mann als Schwiegersohn, Überfluss, Verschwendung, die andere. Pech und Draht, was ist da noch zu überlegen, Babette hat sich einverstanden erklärt! Also, frisch vom Leder gezogen!

Tapfer schritt er durch den Hausflur.

«Was, deine Jüngste schenkt mir Hand und Herz?» schrie Leide ausser sich. «Schuster, kauf dir ein Gut, nimm meine Barschaft und streich sie ein!» Er schüttete ihm die Tasche aus. Die Hochzeit verschob er um vier Wochen, unter dem Vorwand, Einkäufe besorgen zu müssen und seiner Zukünftigen ein behagliches Heim einzurichten. In Wahrheit, weil am ersten Heumonat seine Leidenszeit zu Ende war.

Am Hochzeitsmorgen fasste er sein neues Gewand und stiefelte zum Waldsee, badete, schnitt die Nägel, liess sich die Mähne scheren und zog mit den Musikanten, die er bestellt hatte, vor das Haus seiner Liebsten. Während die Musik einen handfesten Hochzeitsmarsch blies, trat er in die Stube, geschniegelt und gebügelt, mit einem Mejen am Hut. Sittsam überreichte er Babette ein Sträusschen und hackte den Arm ein. Die Glocken läuteten.

Die beiden ältern Schwestern fielen in Krämpfe vor Neid und rannten heulend ins Feld hinaus. Andern Tags wurden sie tot aufgefunden. Die eine hatte sich erhängt, die andere in den See geworfen.

Als Schwager Leide und sein hübsches Fraueli sich von den Gästen verabschiedeten und den Wagen bestiegen, trat der Teufel zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter:

«Schwager Leide, nun hast du eine, ich habe zwoo, wir haben beide unsern Lohn!»

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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