Kunigunde, die Schenkin von Landegg, war mit dem Ritter Ulrich Muntprat verlobt; der Ritter aber liess sie treulos sitzen. Sie stiftete nun in Wil eine Kaplanei und weihte ihren Sohn, der sich dem geistlichen Stande widmete, zum ersten Priester derselben.
Als dieser im St. Peter die erste Messe las, bat er Gott, dass mit diesem Tage der Mutter Leid in Freude verwandelt und ihrer Frauenehre Genüge getan werden möchte. Plötzlich erdröhnte die Erde wie von einem furchtbaren Beben. An der Gruft, wo Ulrich Muntprat begraben lag, wurde der grosse Stein weggehoben, und der Ritter trat heraus und reichte seiner ehemaligen Braut die versprochene Hand. Die beiden traten zum jungen Priester hin und wünschten, dass ihr Ehebund eingesegnet werde. Dann führte Muntprat die Angetraute an ihren Platz zurück und stieg wieder in die Gruft hinunter, die sich aber nicht wieder schloss. Die heilige Handlung nahm ihren Fortgang. Als sie zu Ende war, da sass Kunigunde entseelt, aber im Glück verklärt in ihrem Stuhle. Sie wurde zum Ritter in die Gruft gebettet, und nun legte sich der Stein auch wieder von selbst vor deren Eingang.
Vor wenigen Jahren noch war der Gedenkstein Muntprats in der Peterskirche zu Wil zu sehen; als diese dann aber erweitert und verschönert wurde, schaffte man den Stein mit andern weg.
C. G. I. Sailer, Chronik.
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Der feinsinnige Staatsmann, der im ganzen Lande noch in frischester Erinnerung ist, hat diese Sagen mit epischer Breite in temperamentvollen Versen erzählt. Er sagt im Nachwort (Ausgewählte Werke, S. 420): "Sagen enthalten gewöhnlich mehr moralische als geschichtliche Wahrheiten. In diesem Sinne müssen sie nicht verworfen, sondern gehörig erfasst werden. Die eine wie die andere Sage wollte eigentlich durch das geschilderte Wunder dem Volke nur in starken Zügen die schöne und tröstliche Wahrheit malen, dass begangenes Unrecht gesühnt werde und das gekränkte Recht endlich über Grab und Tod hinaus zum Siege gelangen müsse."
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 487, S. 286
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.