Die vier lustigen Gesellen

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Wendelin war ein Jüngling, der alle Kameraden an Grösse, Kraft und Stattlichkeit ins Hintertreffen stellte. Im Ringen, Steinstossen und Hosenlupf wollte sich keiner mehr mit ihm messen, und wenn sonntags auf dem Spielplatz Streit ausbrach und die Mannschaft raufte, ein Wort Wendelins, und wer seinem Rufe nicht gehorchte, den zwirbelte er wie einen Kreisel, ja einmal warf er die Händelsüchtigen mitsamt dem Kegelspiel über den Haufen.

Am Montag sandte ihn die Mutter ins Holz. Statt Reisig zu sammeln, entwurzelte er abgestorbene Bäume, und im Begriff, ein halbes Dutzend zu bündeln, strackte er sich und sah einen stelzfüssigen Burschen vor sich, der ihm lächelnd zuschaute. Woher der Mann so plötzlich gekommen, konnte er sich nicht erklären. Er war einfach da und sagte: «Mit dir ist nicht gut Kirschen essen, du bist ja stark wie eine Fluh. Willst du in diesem Krachen verbauern und versauern? Komm mit in die grosse schöne Welt, wir reisen zusammen!»

«Einverstanden, sobald ich den Arm voll Holz unter Dach habe». Wie Rebstickel fasste er die gefällten Tannen in den Ellbogen und schritt, von dem Stelzfuss begleitet, heimwärts.

Nach einem tüchtigen Imbiss nahm er Abschied von der Mutter, und sie walzten zusammen, und er hatte Mühe, dem Kameraden zu folgen, der fast immer um eine Strecke voraus war.

«He, Stelzfuss, so wart ein bisschen», sagte Wendelin, «ich habe Hunger, aber kein Geld im Sack!»

«Wozu Geld bei dem Reichtum an Wild?»

«Keiner von uns hat den Sauspeer mitgenommen.»

«Speer hin, Speer her, dem nächsten Hasen breche ich das Genick. Ich habe den Unterschenkel aufgebunden, damit ich nicht ins Rasen komme. Mit dem Hinkebein fange ich das Kleinwild, ohne die Stelze das Hochwild. Hopla, da hüpft ja grad Meister Lampe vorbei. Dir will ich!» Nach einigen Sätzen hatte er den Flüchtling eingeholt, an den Läufen gepackt und getötet. Wendelin schichtete dürre Grotzen, legte Feuer an und briet den Hasen am hölzernen Spiess.

Nach der Mahlzeit schnitten sie Wanderstecken aus der Hecke und setzten den Marsch fort. Die Sonne brannte, die weisse Strasse schmerzte die Augen, die Beine schlenkerten, und sie warfen sich faul und mürbe ins Gras.

Beide Hände in den Hosentaschen, stiefelte singend und johlend ein Mann daher. Sogar den Rock hatte er bis an den Hals zugeknöpft, als ob ihn fröre, und den Hut auf dem linken Ohr. Und was für ein Hut! Gleich hoch und breit, ohne Krempe, wie ein Gugelhupf. Und er schimmerte kupferbraun, wie Tannengrün, nein, gelb wie Wachs und jetzt wie Lila, Purpur, in allen Farben des Regenbogens.

«Steht auf, ihr faulen Lapse und Tagediebe, den Prügel in die Faust und zu dreien, hopsassa, auf die Wanderschaft! Fort aus den Bergen, wo die Hühner Steigeisen tragen, die Gipfel noch im August sich in die Wintermützen mummeln und Gotthardgranit statt Brot, Gletschermilch statt Wein und Bier die bittere Kost! Ich weiss ein Land, wo Milch und Honig fliessen und die Dukaten wie Mücken in der Luft schwirren.»

Das liessen die beiden sich nicht zweimal sagen. Es war auf einmal kühl geworden, und doch schwebte die Sonne im Zenit.

«Jetzt sag mir», verlangte Wendelin, «warum so stolz und den Hut schief auf dem Ohr?»

«Ich bin weder stolz noch hochmütig. Ich habe den Filz ein wenig auf die Seite geruckt, um euch Kühlung zu verschaffen. Trug ich ihn auf dem Scheitel wie ihr und die andern Tölpel, müsste die Sonne am Hutgiebel abprallen und dann prr» - er schüttelte sich - «würden die Fluren zu Schnee und Eis, wir drei zu Eskimo. Prosit, schenk ein, noch eine Bulle Lebertran, liebwerte Eskimomaid!»

Das war ein spassiger Kerl, dieser Sonnenhütler, und unterhaltsam bis in die Fingerspitzen. Sie vergassen im Marschieren Zeit und Stunde und achteten es nicht gross, als sie aus der erhabenen und so wundersam gegipfelten Alpenwelt in tellerflache Gründe kamen, wo Seen glänzten, sanfte Anhöhen den Horizont beschlossen. Der Stelzer pirschte das Wild, Wendelin bereitete das Essen, und der Gugelhut sorgte für Wärme und Schatten, ganz nach Belieben.

Eines Tages stiegen sie auf ein Hügelchen. Der Stelzfuss trug einen Rehbock über die Schultern, Wendelin eine hohle Eiche im Arm, und da kein Lüftchen blies und die Sonne stach, schob der Gugelhut die Kupfe ein bisschen höher. Wo sie den Platz zum Rasten wählten, lag einer faul auf dem Rücken, das eine Loch seiner Kartoffelnase mit einem Grasbüschel verstopft. In der Ebene drehten drei Windmühlen ihre Flügel.

«Was fehlt dir, guter Freund?» sagte Wendelin sanft, «hast du Nasenbluten?»

«Nein, ich treibe die Windmühlen und verdiene mir ein knappes Essen damit. Den Büschel weg, ein Schnauf durch die Nase, und die Mühlen samt Haus und Scheune flattern in der Luft wie Birkenlaub und Schindelholz, und ihr fliegt mit!»

«Bravo! So einer fehlt in unserer Gesellschaft. Wir speisen zusammen, und dann hoppla, rühr dich, und zieh mit ins Land, wo die Dukaten wie Mückenschwärme auf und ab geigenl»

«Wenn ihr mir ein Liebchen verschafft, von Herzen gern. Von den hiesigen Mädchen will mich keine zum Mann, weil ich so hässlich bin.»

«Nichts leichter als das! Gold und Silber in der Tasche, und sie hangen dir an den Rockschössen!»

«Das lässt sich hören! Spiesst alle drei den Daumen in die Höhe und sagt, Gockel beiss ab, dann glaub ich's.» Sie hoben den Daumen und riefen im Chor: «Gockel beiss ab!» und da nirgends ein Hahn krähte, hopste der Mann auf die Füsse, gelobte treue Kameradschaft, und den vier Gesellen entschwebten die Tage im Schwalbenflug.

Glockengeläute verkündete die Nähe der Stadt. Singend marschierten sie ein und mischten sich unter das Volk, das tausendköpfig den Platz versperrte und einem Menschen lauschte, der gestikulierend seine Worte wie Brocken unter die Menge streute, die gierig aufgeschnappt wurden.

Wendelin kniff seinen Nachbar in den Arm. «Was will dieser Gaukler? Erklär mir das Schauspiel!»

«Gaukler - Schauspiel - hüte deinen Mund, Grobian, es ist der Herold des Kaisers! Und du, was bist du für einer?»

«Wir kommen alle vier aus den Schweizerbergen.»

«Ich verstehe, Hirten und Kuhmelker. Es riecht höllisch nach Schweizerkäse. Was schafft ihr denn im Winter, ihr einfältigen Batzenklemmer und Stallfeger!»

«Wir jagen das Wild», entgegnete der Stelzfuss.

«Seht diese Leute, sie kommen aus den Schweizerbergen und jagen das Wild! Was treibt ihr sonst noch?»

«Nichts treiben wir», gab der Bläser zur Antwort, «es läuft alles von selbst.»

«Und wenn wir schönes Wetter wünschen», ergänzte der Sonnenhütler, «so neige ich den Filz aufs linke Ohr, soll es regnen, so schieb ich ihn hoch.»

«Urwaldmenschen - die letzten aus der Arche Noahs», scholl es vorn und hinten, und die vier Gesellen flüchteten vor den Gaffern in eine Wirtschaft, wo die Becher klirrten und aus dem Gemurmel der erhitzten Gäste das Wort des Heroldes sich entwirrte: Wer die Wüste in fruchtbares Land umwandelt, dem gelobt der Kaiser seine Tochter zur Frau.

«Das ist etwas für dich, Mühlentreiber!» sagten die Gefährten. «Die Prinzessin zum Weib, was kannst du dir Besseres wünschen?» «Ihr Narren, Windmühlen blasen und Sandwüsten, ist zweierlei. Immerhin, ich kann' s ja versuchen.»

Alle vier klommen sie zum Schloss hinauf, liessen sich in den Prunksaal führen und dem Kaiser melden, der Bläser sei bereit und imstande, die Wüste in eine Oase zu wandeln. Während die vier Gesellen Fisch und Braten verspeisten, wurde der Hofwagen vorgeführt. Sie stiegen ein, der Kutscher schnalzte und berührte mit dem Geisselzwick die Kruppe der prächtigen Goldfüchse. Derweil die drei Kameraden am Rande der Wüste der Ruhe pflegten, fuhr die Kartoffelnase weiter. Unterwegs stopfte er beide Nasenflügel, wartete, bis der Wagen in Sicherheit war, sog die Lungen voll, entfernte die Stöpsel und blies. Hu, wie das stürmte und pfiff, Sandhosen in die Lüfte spindelten, finstere Schwaden über den Himmel jagten und die Sonne verdunkelten! In der Stadt zündeten sie überall die Lichter an und glaubten, das Ende der Welt sei da.

Als der Himmel von neuem wie blaue Seide glänzte, war die Wüste gesäubert. Aus den Erdspalten rauschten Brunnen, die Rinde grünte und blühte, Bäume wuchsen zusehends zu Stamm und Frucht, und am Sonntag redete man nur noch von der paradiesischen Pracht, kein Mensch mehr von der Wüste.

Im kleinen erlauchten Kreise tafelten die vier Kameraden mit dem Kaiser und seiner Tochter, die nicht bei guter Laune war und keinen Bissen zum Munde führte. Als der Wein die Zungen löste, erhob sich der Bläser und hielt in aller Demut um die Hand der Prinzessin an. Majestät wiegte das Haupt hin und her, die Prinzess rümpfte das Näschen und lispelte ihrem Vater etwas ins Ohr.

«Verdient hast du meinen kaiserlichen Dank», sagte der Erlauchte, «das ist wahr. Du bist wohl ein Nasenkönig, gefällst aber meiner Tochter nicht. Ich biete dir Geld, so viel ein Mann auf seinem Buckel zu tragen vermag, und dess sei zufrieden!»

Der Bläser bog sich in den Hüften, stammelte schimpfliche Worte, und es brauchte die Kunst und Überredung seiner Freunde, ihn zu bewegen, auf die Prinzessin Verzicht zu leisten. Eine Manneslast klares Gold sei all weg eine gute Sache.

Der Schatzmeister liess den grössten der Strohsäcke im Hof ausspreiten und mit Dukaten füllen. «Genügt nicht», entschied Wendelin, und hob den Ballen mit dem kleinen Finger in die Höhe. «Das ist keine Manneslast. Mehr Geld, noch siebenmal soviel.»

Es verging eine Woche, bis das Geld zur Stelle war. Und als sieben Säcke bis obenhinaus sich blähten, wurden sie von dem Sattler zusammengeheftet, Wendelin bebürdete die Achseln und trampelte mit den Kameraden von dannen.

Kaum waren sie abgereist, so reute den Kaiser der grossmächtige Schatz. Er befahl dem Reitergeneral, den Gesellen mit seiner Kavallerie nachzujagen und ihre Köpfe am Eingang der Hofburg aufzupflanzen.

Währenddem waren die Kameraden schon weit vorgerückt. Bei der ersten Rast gewahrten sie das Reiterheer, das auf flinken Rossen heransprengte.

«Sie säbeln uns tot», jammerte der Stelzfuss, «wer hilft, wer hilft?»

«Nur ruhig Blut!» beschwichtigte die Kartoffelnase, raufte zwei Büschel Gras, verklebte die Nüstern und lief der Schwadron entgegen. Auf zehn Schritt von der Spitze entfernte er die Pfropfen, zog tief den Atem und blies. Die Pferde bäumten sich, fuhren in die Luft, und Ross und Reiter flogen, zu einem Klumpen geballt, der Stadt zu und sackten aufs Pflaster des Paradeplatzes nieder, dass die Steine spritzten und die Fenster in tausend Scherben splitterten. Trostlos über den schlimmen Verlauf, beschied der Kaiser die Minister zur Sitzung. Keiner wusste einen Ausweg.

«Weiberrat und Weiberlist über hundert Füchslein ist», sagte der Hofnarr und liess seine Frau rufen. Von so viel Ehr und Zutrauen geschmeichelt, erschien sie und sagte, die Sache sei doch höchst einfach. Man sende Freundschaftsboten zu den dummen Schweizern und melde, seine kaiserliche Hoheit sei bereit, der Kartoffelnase seine Tochter zur Frau zu geben. Für den Rest sorge ihr Mann.

Einstimmig wurde dem Vorschlag beigepflichtet, und als die Eilboten die vier Gesellen einholten und die falsche Kunde überbrachten, machten dieselben leichtgläubig kehrt und zogen wieder vor das Schloss.

Unterdessen hatte der Hofnarr den Löwenzwinger bereitstellen lassen. Kaum hatte Wendelin sich der sieben Geldsäcke entbürdet, fiel ein Harst von Landsknechten über sie her und drängelte sie in den Käfig. Stroh und Reisig schichtete man um die Zwinger und warf die brennende Fackel hinein. Die Flammen waberten um die Eisenstäbe, Doch je höher die Lohe stieg, um so toller lärmten die vier Gesellen, nicht in Schmerz und Wut, bewahre, sondern in ausgelassener Fröhlichkeit. Sie schrien, pfiffen und strampelten vor Vergnügen; denn der Gugelhut schob den Filz immer höher, bis er steilrecht auf dem Wirbel sass. Die Flammen sanken zur Asche nieder, die Zuschauer hauchten in die roten Hände, Rauhreif übersilberte den Käfig, dem Kaiser und seinen Ministern wuchsen Eiszapfen an der Nase.

Der Herrscher sah ein, dass die Schweizer nicht so dumm waren, wie sie aussahen. Er liess den Käfig öffnen und sagte mit einem schweren Tropfen Enttäuschung auf der Zunge: «Ich bin überzeugt, ihr könnt mehr leisten als meine Minister und Beamten zusammen. Von Wendelin, dem Nasenkönig und dem Sonnenhütler weiss ich es gewiss. Allein da ist noch ein Stelzfuss, und bevor ich euch die Reichsgeschäfte überbinde, will ich wissen, wozu der taugt. Lahme und Schneckengänger habe ich genug in meinem Ministerium. Warum bist du stelzfüssig?»

«Der Jagd wegen, Herr Kaiser. In der Ebene muss ich das Bein aufbinden, damit ich dem Kleinwild nicht den Rang ablaufe. Ohne die Stelze gehe ich auf Hochjagd und hasche Rehe, Gemsen, Steinböcke und dergleichen mit den Händen.»

«Kannst du eine Probe ablegen?»

«Bemüht Euch auf den Balkon, Herr Kaiser! Einen Augenblick Geduld, und vor Euren Augen fange ich Hasen, Füchse, Fasanen, soviel unser Wendelin zu schleppen vermag. Das ist für den Küchenmeister. Im Hochwald fange ich Hirsche und Rehe, das ist für den Wildpark.»

Wohl oder übel musste die Prinzessin sich mit der Kartoffelnase trauen lassen. Die neuen Minister traten ihre Hofämter an, und man erzählt, noch nie sei ein Volk trefflicher regiert worden als von den vier lustigen Gesellen aus dem Schweizerland.

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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