Der arme Job

Land: Schweiz
Region: Brig
Kategorie: Schwank

Als der Herrgott die Welt erschaffen hatte und das Tal auf- und niederspazierte, um nachzubessern, sah er hoch am kahlen Hang eine Steinrippe. Er warf eine Handvoll Erde hinauf und schuf das Dörfchen Ried. Schmal, engbrüstig und ab der Welt, konnte der Ort sich nicht entwickeln, und die Bewohner blieben einfältige, rückständige Leute.

Noch nie in seinem Leben hatte der Präsident einen Esel gesehen.

Ein neues Hanfseil zu kaufen, ging er auf den Markt, wackelte verdutzt mit dem Kopf und sagte: «Was ist jetzt das für ein merkwürdiges Wesen? Schweif und Ohren wie ein Pferd und doch kein Pferd und macht hiä hiä. Wo wachsen diese Tierchen?»

«Zweibeinig gedeihen sie überall und in Ried am schönsten. Esel wie der da werden bei uns als Kürbisse auf dem Dünger gezogen. Bei Regen und Sonne blähen sie die Backen, und im Augustbrand schlüpfen die Jungen heraus wie das Küchlein aus dem Ei. Schneller geht es, verflixt schnell, einige Tage nur, wenn man sie selber ausbrütet.» Flugs erstand der Rieder einen halb zentrigen Kürbis und trug ihn auf dem Rücken in seine Gemeinde empor, rollte ihn auf den Dorfplatz und setzte sich mit zwei Gemeinderäten zur Brut auf die Kugel. Bei der Ablösung geriet sie in Bewegung, polterte die Halde hinunter ins Gebüsch und schreckte einen Hasen, der in tödlicher Angst davongaloppierte. Mit fliegenden Schössen der Präsident hinter ihm her: «Halt, Eselein, halt, ich bin ja dein Vater!»

Da in Ried das Eisen schweres Geld kostete, wurde man rätig, selber anzupflanzen. Der Steuervogt sammelte von Haus zu Haus die Nadeln und spiesste sie in das Brachland der Gemeinde. Im Herbst zogen Männlein und Weiblein auf den Acker hinaus, um das Eisen auszugraben, allein statt der Stäbe erwühlten sie nur Engerlinge und Würmer. Sie hatten keinen Nutzen und noch den Schaden obendrauf mit den verlornen Nadeln. Wo fehlt es wohl, berieten sie. Doch nicht am Dünger und nicht an der Krume! Im Frühjahr pflanzen wir die Nadeln mit dem Stich nach oben, damit sie am Ohr gehörig Wurzeln fassen.

Als die Ernte nochmals fehlschlug, waren die schlechten Nadeln die Ursache, und sie sandten den Pfiffiküster in die Stadt, damit er sich nach wachsigem Eisensamen erkundige.

Der Gemeindeschreiber ging auf den Markt und verkaufte sein Rind um zehn Napoleon. Auf dem Rückweg quakte ein Frosch sein nini, nini. Der Mann kehrte sich und schrie: «Verdammter Lügner, nicht neune hat es gegolten, sondern zehn!» Als der Frosch immerzu nini, nini quakte, schmiss der Schreiber die Schweinsblase in den Sumpf und rief: «So zähl selber, du Laff!» Schnurstracks lief er zum Kastlan und beschwerte sich, unter der Brücke habe einer gerufen, sein Rind hätte nur neun Napoleon gegolten. «Unerhörte Frechheit», erwiderte der Kastlan und stoffelte mit ihm zur Brücke.

«Hörst du den Lümmel? Noch jetzt höhnt er immer: nini, nini!»

In Ried mangelte auch das Salz. Da die Eisensaat nicht gedeihen wollte, säte man Salzkömer auf das Brachland. Der Acker ergrünte, und prächtig schoss das Kraut aus dem Boden. Schnabelnazi lauerte im Mondenschein dem Fuchs und kroch um Mitternacht ins Bett, denn das Tier hatte Lunte gerochen und brach erst ins Hühnerhaus ein, als der Jäger fort war. Auf das Gegacker der Hennen sprang er im Hemd zum Fenster hinaus und ragelte über den Acker dem Räuber nach. Die Nesseln bissen ihn an die Waden, er wartete voller Wonne im Nesselkraut, streckte gegen den Wald die Zunge heraus, machte rechtsum und watschelte heimzu. «Denk dir, Frau, es sprosst und schiesst ungemein und hat mich tüchtig in die Schinken gebissen. Wir heimsen einen mächtigen Haufen Salz ein.» Jeden, dessen er in der Frühe habhaft werden konnte, führte er aufs Feld hinaus. Sie betasteten die Nesseln und rieben die prickelnden Hände. «Eine Menge Salz, fürwahr», staunten sie, «jedoch wie wollen wir die Körner herausklauben?»

Im Laufe der Jahre wanderten die Hablosen in die Fremde, und es blieben noch elf Familien im Dorf, von denen die meisten durch Erbschaft und Güterzusammenschluss reich geworden waren. Einzig der arme Job besass nur eine magere Kuh im Stall, dafür aber guten Humor und Schlagfertigkeit. Das Hirn sass bei ihm nicht im Kropf wie bei den reichen Dorfgenossen, sondern in seinem runden, klugen Schädel. Das verdross die Nachbarn, und sie wären ihn gerne los geworden, wussten aber nicht, wie sie es anstellen sollten. Im Rat verhandelten sie den Fall, und von den zwei Vorschlägen, die gemacht wurden, beliebte der eine, und sie hagelten von der Sitzung in den Stall des armen Job und schlugen ihm die Kuh nieder. Job liess sich nicht aus der Fassung bringen. Dummheit und Bosheit sind Geschwister. Weit entfernt, ans Auswandern zu denken, weidete er das Tier aus, hing das Fleisch in den Speicher, bündelte die Haut und trug sie bergab zur Gerberei. Neugierig wie alle Rieder, äugte er vorerst durchs Schlüsselloch, lächelte schlau und pochte an die Tür. Die Gerberstochter, die glaubte, ihr Vater kehre vorzeitig vom Markte heim, hatte ihren Liebsten auf Besuch und versteckte ihn schnell, schnell in der Truhe, denn er und ihr Vater, sie hatten das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Job musste sich vor der Tür gedulden, und er tat es gern, er wollte sich dann schon bezahlt machen.

«Ich bringe dir eine Kuhhaut», sagte er, als das Mädchen öffnete, «was gibst du mir dafür?»

«Die Häute kauft der Vater billig auf dem Markt. Wenn es dir passt, so kannst du sie zum Gerben hier lassen.»

«Ich brauche kein Leder. Hm - tausche das Fell an die nichtsnutzige Truhe, und du machst ein Geschäft!»

So dumm kann nur ein Rieder sein, dachte sie und grad noch was dazu: Mein Liebhaber in der Lade, ich mag ihn nicht mehr, eine famose Gelegenheit, ihn los zu kriegen. Sie ging auf den Tausch ein.

Den schweren Kasten auf dem Buckel, lief Job geradewegs zum Fluss und rief so laut, dass der Gefangene es hören musste. «Das ist ein schweres Gespenst von einem Kasten, was will ich damit anfangen? Ins Wasser!» -

«Lass mich hinaus, gib mich frei», heulte der Bursche, dem die Wände zu eng geworden.

«Wie hoch schätzest du dein Leben?» «Vierhundert Kronen bar auf die Hand.»

«Gut, abgemacht.» Der Kasten plumpste zur Erde, Job öffnete und liess sich den Betrag in klingender Münze ausbezahlen.

Im nächsten Dorfe kaufte er zwei saubere Milchkühe und trieb sie nach Hause. Nun hatte er schönes Vieh im Stall und genügend Bargeld für das Futter.

Auf dem Hocker sitzend, molk er die Kühe und sang ein Schelmenliedehen. Der Eingang verdunkelte sich, blöde Augen glotzten, und aus ihren schweren Kröpfen keuchend, fragten die Reichen, wie er zu dem Vieh gekommen sei.

«Die Kuhhäute gelten jetzt furchtbares Geld», schmunzelte Job, «vierhundert Kronen hat man mir für das Fell bar auf die Hand geblättert.»

«Wa - as - vierhundert Kro -?» Wie behext wackelten sie nach ihren Ställen und töteten all ihr Vieh, trugen die Häute zu Markte und lösten nicht einen Heller über den Tagespreis hinaus.

Das war scharfer Tabak. Los von dem Unverschämten, zu Boden mit ihm! Sie glühten und pusteten vor Rachedurst. Job verbrachte die Nacht statt im Bett in einem Versteck, und als die Mörder in die Stube drangen, erschlugen sie ihm die Schwiegermutter, mit der er zusammenlebte. Entschlossen, das Räubernest zu verlassen und unter einen andern Himmelsstrich zu wandern, lud er die Tote auf die Traggabel, obendrauf seine Habe, Spinnrad, Rocken und den einzigen Stuhl, der ihm geblieben war. Im Tal angekommen, übernahm ihn der Schmerz. In seiner Verwirrung setzte er das Mütterchen zumitten der Strasse auf den Sessel, legte ihr wie zum Spinnen die Hände zusammen, Rad und Rocken vor sie hin. Bevor er sie der Erde übergab, wollte er sie nochmals sehen wie gestern und vorgestern und all die Tage als fleissiges Hausmütterchen. Er schwang sich auf die Mauer, liess den Kopf und die Beine hangen und flennte bitterlich.

In hellem Galopp sauste die Talpost daher. Der Postillon klöpfte mit der GeisseI, und als die Spinnerin nicht floh, straffte er die Zügel und schlug ihr den Peitschenstiel ums Haupt, dass sie vom Stuhle fiel. «Ich, ich habe sie getötet», stotterte er, das bleiche leblose Gesicht der Frau anstarrend und wühlte in seinen Taschen. «Zufällig trage ich meine Ersparnisse bei mir, nimm alles, teurer Freund und halt den Schnabel!»

Job zählte das Geld, es waren vierhundert Kronen, und gelobte zu schweigen. Er lud seine Schwiegermutter wieder auf die Kraxe und trug sie auf den Gottesacker. Hatte es jetzt noch einen Zweck, auszuwandern? In seinen Taschen zwitscherten die Goldvögel, und ein scharfes Gelüsten, seinen Peinigern den ruchlosen Mord einzutränken, trieb ihn nach Ried zurück. Auf allen Fenstersimsen seines Hauses breitete er die Goldstücke aus, und das war ein Glitz und Glanz, den die Reichen einfach nicht ausstehen konnten. Wie er zu dem Reichtum gekommen sei, fragten sie.

«Ganz einfach. Birlibim und Weiberschmeer werden mit Gold aufgewogen. Vierhundert Kronen hat man für meine Schwiegermutter bezahlt.»

«Birlibim, das kennen wir nicht, aber Weiberschmeer - uui - wenn es mit Gold erhandelt wird - uui!»

Das tuschelte im Dorf, flunkerte in den Ställen, und des Nachts erschlugen die zehn Männer ihre Frauen und trugen sie zu Markte. In Scharen lief das Volk zusammen, mit geschwungenem Säbel pustete die Polizei auf den Platz. Hals über Kopf stürzten die Rieder aus der drohenden Menge, entschlüpften in ein Seitengässchen und flüchteten in die Einsamkeit ihres Felsennestes. Tagelang getraute sich keiner aus dem Haus, und schritt Job hüstelnd durch die Gasse, blinzelte hier und dort einer ängstlich aus dem Fensterwinkel und zog sich blitzschnell wieder zurück. Furcht raubte ihnen den Schlaf. Auf Rache sinnend, trafen sie sich auf dem Gemeindeacker, steckten die Köpfe zusammen und schwuren, den Job so oder so ins Jenseits zu befördern.

Gift sei das einfachste, hiess es, und da keiner allein sich ins Tal getraute, um Gift zu kaufen, stiegen sie bei einbrechender Dunkelheit zur Kräuterfrau ins Städtchen hinab, die, ob der plötzlichen Überrumpelung sich entfärbend, Hilfe holte. «Die Rieder sind da, die Frauenmörder, Jesses, Jesses, steht mir bei!» Unversehens waren die Männer umzingelt, mit Schellen gefesselt und hinter Schloss und Riegel in ein unsanftes Nachtquartier geworfen.

Von Job ist nicht mehr viel zu berichten. Er heiratete die Gerberstochter, die ihren Liebhaber um eine Kuhhaut vertauscht hatte, und seine Nachkommen sind ein blühendes Geschlecht, das an den Winterabenden und am Herdfeuer der Sennen gerne aus vergangenen Zeiten fabelt, wie die Altvordern Nadeln in die Ackerkrume steckten, Salz auf das Brachland streuten und der Präsident den ersten Langohrigen Esel ausbrütete, und wie der schlaue Job Stammhalter einer neuen Generation wurde, die ihre Grütze im Schädel hat und nicht im Kropf, sintemal die dicken Hälse spurlos verschwunden sind.

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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