Der gebannte Lehrer
Es lebte an der Reppisch einst ein Lehrer, dessen Wohnort und Namen nicht genannt werden, weil es über ihn (etwas vor 1857) zu gerichtlichen Verhandlungen gekommen ist. Man sagte ihm nach, er hätte sich als Vormund einer Witwe beträchtliche Summen angeeignet. Bei seinem Tode habe er seinen Söhnen noch anbefohlen, das unrecht Erworbene wieder heimzuzahlen. Die Söhne waren alle bis auf einen bereit, des Vaters Willen zu vollziehen. Dieser eine aber wusste den andern einzureden, dass es vernünftiger sei, den ganzen Handel ruhen zu lassen. Und so geschah es.
Längere Zeit nachher jätete eine fremde Dienstmagd auf einem Felde in der Nähe des Gutes jener Familie. Als sie zum Ausruhen sich einmal streckte, sah sie den verstorbenen Lehrer vor sich stehen. Zu Tode erschrocken rannte das Mädchen heim und erzählte das Erlebnis. So kam die Geschichte zu Ohren der Familie des Lehrers. Die verklagten die unvorsichtige Erzählerin, und weil sie den Beweis schuldig bleiben musste, wurde sie gebüsst.
Aber auch nachher behauptete sie halsstarrig, sie sehe die Gestalt des Lehrers noch immer, und erbot sich, sie jedermann bei helllichten Tage zu zeigen. Andere Leute konnten aber nichts sehen, was sie damit begründeten, dass sie keine Sonntagskinder seien wie die Dienstmagd.
Im folgenden Winter ging morgens um vier Uhr ein Drescher an jenem Orte vorbei an die Arbeit. Da bemerkte er an der aus dem Gerichtshandel bekannten Stelle einen Mann, der in Mantel und Hut ruhig dastand. Der Drescher meinte, einen Halberfrorenen vor sich zu haben und näherte sich ihm. Er schaute ihm unter den Hut und erkannte mit Entsetzen den Verrufenen. Er rannte, um sich zu retten ins nächste Haus und sank dort ohnmächtig zusammen. Als er wieder zu sich gekommen war, erzählte er den Grund seines Schreckens. Die Leute drangen ih ihn, die Begegnung den Söhnen des Verstorbenen mitzuteilen; denn diese hatten vor Gericht erklärt, dass sie die Begebenheit wohl eher einem Mannsbild glauben würden und dass sie dann dem armen Mädchen die Summe zurückerstatten wollten. Der Drescher folgte diesem Rat. Die Söhne liessen zwei Kapuziner kommen, die den Geist in einen Dachrafen des Hauses bannen mussten. Seither hat man von der Spukgestalt nichts mehr gesehen.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Knonauer Amt
Rochholz II, Nr. 364.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.