Die arme Gräfin

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Auf seinem Schloss hoch in den Felsen stand der betagte Graf mit seinem Sohn und schaute vom Balkon über das Land. «Nach meinem Tode werden Berg und Tal, soweit die Augen schweifen, dein rechtmässiges Erbe sein. Triff die Wahl, lieber Berchtold, und vermähle dich, damit unser Geschlecht weiterblüht und das Burgrecht in der Familie bleibt.»

«Ich bin dazu bereit, mein Vater, mag aber keine von unserer Sippe freien. Die adeligen Damen sind herrschelig und anspruchsvoll, lieber eine aus dem Volk, die meinem Willen sich fügt, als eine Hochmütige, der ich die Hände unter die Füsse legen muss.»

«Auch unter unseresgleichen triffst du Edelfräulein, die deinem Wesen sich anschmiegen, überleg es dir gut; du führst Wappen und Siegel, und der Damen sind viele auf unsern Schlössern, die dich bezaubern und beglücken werden.»

Nach dem baldigen Ableben des alten Grafen ging Berchtold auf die Freite von Burg zu Burg, überallhin, wo heiratslustige Patrizierinnen nach einem Bräutigam sich sehnten, und übertrug ihnen die letzten Grüsse seines Vaters. Nirgends sah er eine, mit der er das Brot hätte brechen mögen. Dumm die eine, gefallsüchtig die andere, die dritte herzlos, die vierte ohne Zucht und Scham, waren sie alle erpicht auf Reichtum und Besitz, putzsüchtig, flatterhaft, mit allen Schlichen bestrebt, ihre Fehler klein zu machen und zu verbergen. Berchtold Iiess sich nicht blenden. Er kannte diese Frauenseelen, die wie Katzen schmeicheln, und, Frau Gräfin geworden, das wahre Gesicht und die Krallen herauskehren und das heisse Blut in abenteuerlichen Ausschweifungen kühlen. Durch üble Erfahrungen in seiner Abneigung gegen die Ritterfräulein bestärkt, trabte er heimzu. Beim nächsten Brunnen tränkte er sein Pferd. Er stieg aus dem Bügel, um an der Röhre zu nippen, und da hob die Wäscherin das Antlitz, eilte hurtig ins Haus und bot ihm den frischen Trunk aus dem Becher. Dieses Apfelblütengesicht, der Schmelz, die einfache Natürlichkeit und Demut, die Vogelstimme. Sein trunkenes Auge hing an der schönen Erscheinung.

Als er von dannen ritt, winkte er zurück und wusste, dass diese es sein wird oder keine. Auf der Burg angekommen, liess er die Schneiderin rufen und einer Magd, die an Wuchs und Grösse dem Dorfmädchen ähnelte, ein seidenes Kleid anfertigen. Mit dem Gewand ritt er ab, sah nicht mehr zu den stolzen Edelsitzen hinauf, nur immer geradeaus und mit klaren Sinnen in die schmucken Dörfer hinein, die ihm auf einmal so gut gefielen, dass er sich einen Toren schalt, sich solange besonnen zu haben. Ihm brannte das Herz vor Sehnsucht nach dem Mädchen, und noch nie waren ihm die Pappelreihen an der Strasse so langweilig vorgekommen. Am Dorfplatz plätscherte der Brunnen. Auf der Röhre schnäbelte eine Taube. Er schwang sich aus dem Sattel, übergab dem Knecht die Zügel und nahm den Flug die Treppe hinauf. In die niedere Stube sich bückend, begrüsste er Mutter und Tochter und sagte, er sei Graf Berchtold von Asperlingen und werbe um die Hand des Mädchens.Ganz bestürzt erwiderte die Mutter: «Ist es ein Scherz, Herr Graf, so verzeih Euch Gott, ist es Ernst, so bedenkt unsern Stand! Wir besitzen nichts als das Haus und unsere Ehre.» Als der Freier in heiligem Ernst seine Liebe beteuerte, gab die Mutter nach. «Ist es Euer Wille und könnt Ihr mein Kind glücklich machen, so nehmt sie, und der Herr segne Euch!»

«Versprich mir nur das eine», wandte er sich zum Mädchen, «mir in allen Dingen gehorsam zu sein!» Wie gerne gelobte sie das! Da rief er dem Knecht und überreichte ihr das Kleid. Freudig huschte sie in die Nebenkammer, tauschte das Gewand, und der Graf zog sie fort, hob sie zu sich aufs Pferd und sprengte davon.

Der jungen Frau Gräfin fiel es nicht schwer, sich in die neue Welt und die neue Aufgabe hineinzuleben. Sie vergass ihre geringe Herkunft nicht und teilte mit vollen Händen aus. Nach zwei Jahren glücklicher Ehe gebar sie ein Mädchen, das sie hätschelte und selber pflegte und hegte. Als es zwei Jahre alt war, sagte Berchtold: «Du hast mir versprochen, in allen Dingen gehorsam zu sein. Das Volk murrt, weil das Erstgeborne ein Mädchen ist. Das Kind muss Vater und Mutter verlassen, frage nicht, warum und wohin.»

Schreckensblass stammelte sie: «Was ich gelobt, ist mir heilig. Tu, was du nicht lassen kannst! » Weinend riss sie sich von der Kleinen los.

Wiederum nach zwei Jahren gebar sie einen Sohn, dem sie ihre mütterliche Liebe schenkte. Nach einiger Zeit sagte der Graf: «Du hast mir einen Stammhalter gegeben, und jetzt murrt das Volk über die Mutter, weil sie niederen Standes ist. Es ist besser, wir geben auch den Knaben in fremde Hände.»

«Tu, was du verantworten kannst, mein lieber Gemahl.» Schluchzend küsste sie das Söhnchen und brach ohnmächtig zusammen. Die Tage vergingen in stummer Qual. Sie sah die Sonne nicht mehr, die Sterne in der Nacht, lächelte mit dem Mund, wenn Berchtold sie begrüsste, und weinte mit den Augen. Still wurde es um sie, einsam und tot auch in ihrem Herzen. Und doch sollten die Tage noch trüber, die Nächte noch länger werden.

«Das Volk murrt gegen mich», sagte der Graf einige Jahre später, «weil ich ein Mädchen aus der Bauernhütte gefreit habe. Ich will Frieden haben, wir müssen uns trennen. Geh zu deiner Mutter zurück, leb wohl, und zürne mir nicht.»

«Du brichst mir das Herz, allein ich gehorche, ade.»

Wie eine Magd gekleidet, betrat sie die Kutsche und liess sich zu ihrer Mutter führen.

Die Jahre flossen dahin, und eines Tages hielt der gräfliche Wagen vor ihrem Haus, und ein Bote lud die Verstossene ein, sich ins Schloss zu begeben. Der Herr Graf gedenke wieder zu heiraten und bitte sie, ihm die Gemächer herzurichten.

Stumm und blass stieg sie in den Wagen und erfüllte auf der Burg des Grafen Wunsch und Geheiss. Sie schmückte die ihr so wohlvertrauten Räume zum Hochzeitsfeste, zierte die Tafel mit Fliederbüschen und stand hinter dem Sessel ihres Gebieters als Dienerin, genau wie er es angeordnet hatte.

Wie sie strahlte, die blutjunge, schöne Braut, die der Grausame jetzt zur Tafel geleitete! Neben der Braut sass ihr jüngerer Bruder, ein blondgelockter, bescheidener Jüngling. In den Anblick versunken, schrak sie leise zusammen, als der Graf zu ihr sich kehrte und fragte, wie ihr seine Braut gefalle.

«Mag sie Euch so gut gefallen wie mir, und nie so hart abgewiesen werden wie ich!» Ihre Knie bebten, sie wankte und fiel Berchtold, der sie rasch umfing, in die Arme. «Du bist ja mein liebes, liebes Weib, meine einzig Geliebte, und die junge Braut, so jung und hold, ist unsere Tochter, die ich von dir genommen und erziehen liess. Der Jüngling ist unser Sohn. Staune nur und blühe wieder auf, und freue dich mit uns! Kein Wenn und Aber soll uns mehr scheiden. Das Volk verlangt weder fürstlich Geblüt, noch Titel und Krone; in harter Probe hast du deine Treue bewiesen, es verehrt dich als seine Wohltäterin und Landesmutter. Nun halten wir fest zusammen auf immer und alldar!»

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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