Die zwölf Weinfälscher
Ein Handwerksbursche, der kein Geld mehr hatte, kam im Züricherlande abends spät in ein entlegenes Wirtshaus und bat da für die Nacht um freie Aufnahme. Der Wirt versicherte ihm, alle Betten seien besetzt und alle Zimmer schon eingenommenen bis auf eines. In diesem aber könne er niemanden beherbergen, denn wer je darin übernachtet habe, sei am Morgen tot aufgefunden worden. Doch der Bursche fürchtete sich nicht und liess sich nicht abweisen. Er brauche, sagte er, nichts als eine Bibel, eine grosse Strohflasche voll Wein, zwölf Gläser und zwölf Kerzen; damit getraue er sich, es an jedem verhexten Orte auszuhalten. Der Wirt gab ihm das Verlangte‚ und so machte sich der Bursche damit in das gefährliche Zimmer hinauf, stellte die Kerzen angezündet auf den Tisch, legte die Bibel dazu und und schloff ins Bett.
Mit dem Schlag der Mitternacht ging die Tür auf, und zwölf schwarze Männer traten an sein Bett. Der Bursche stand unerschrocken auf, schenkte jedem ein Glas Wein ein, trank mit ihnen guter Dinge und befragte sie zuletzt nach dem Grund ihrer nächtlichen Unruhe. Sie forderten ihn auf, mit ihnen zu kommen, alles solle ihm gezeigt werden. Jeder nahm eine der dastehenden Kerzen, er selbst nahm die Bibel mit, und so stiegen sie viele Treppen hinab in einen tiefen Keller. Hier fanden sie drei übereinandergestellte Truhen. Die Männer übergaben ihm die Schlüssel dazu und erklärten ihm, hier liege das Geld verschlossen, das sie einst mit Weinfälschung den Gästen und Reisenden ihr Leben lang abgestohlen hätten, vom vom Enkel und Urenkel bis zum Grossvater und Urgrossvater, durch zwölf Menschenalter hindurch. Darauf verschwanden sie plötzlich. Der Wirt fand seinen Gast am andern Morgen gesund und frisch und behielt ihn bei sich seiner Lebtage.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Winterthur und Weinland
Wörtlich aus Rochholz 2, Nr. 370a
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.