Unsere Grosseltern erzählen, dass man ehemals die Fastnachts-Maskerade von heute nicht kannte, dass aber jedes Dorf einen "Butzi" hatte, der eine rötlich-gelbe Mannskleidung und eine bemalte, grosse Holzlarve trug. Am Gürtel hing das Schellengeröll, und in den Händen trug er den Stock mit der Schweinsblase und den Kehrwisch. Missbeliebige Personen wurden geschlagen, die andern gebürstet. Unter die Dorfjugend teilte der "Butzi" gerne Brot aus; um ihn gruppierte sich die ganze Festfreude.
Ein Gegenstand des Schreckens war er für diejenigen, die sich im Lauf des Jahres irgend etwas "Ungerades" hatten beikommen lassen; seine gereimten und ungereimten Reden waren das gefürchtetste Femgericht, Aber keiner der Beleidigten durfte es wagen, an ihm gelegentliche Rache zu nehmen; denn der "Butzi" stand mit übernatürlichen Mächten im Bunde. Es ist höchst merkwürdig, daß die Beniner Spukgeschichten geradezu auf den "Butzi" zurückführen.
a. Der Mann im Kastlet.
Es sind noch nicht fünfzig Jahre her, dass auf dem höchsten Punkte der alten Klosterruinen im Kastlet öfters ein weisser Mann beobachtet wurde, der alle, die ihm begegneten, zu sich heranwinkte. Er war einst ein angesehener Mann der Gemeinde, hatte aber heimlich in den Klostermauern nach Schätzen gegraben, wofür ihn der "Butzi" an der Fastnacht lächerlich machte. Der Geärgerte wünschte seinem Beleidiger einen jähen Tod fern von jedem menschlichen Beistand, fand ihn aber selbst und muss nun dort oben stehen, bis jemand zu ihm kommt und ihn erlöst.
b. Im Gehren.
Alle drei Gehrenheimwesen gehörten einst dem reichen Gehrenbauer, der als ein Geizhals bekannt war. Zur Zeit der Teuerung hatte er alle Kasten und Tröge voll Schnitz und Korn; aber er gab keinem Armen ein Almosen, und nur um schweres Geld gab er etwas von seinen Vorräten ab. Selbst sein Weib bekam nicht einmal das Nötige für Nahrung und Kleidung, und als es eines Tages einen Kreuztaler für sich wegnahm, wurde es geschlagen, und der geizige Mann vergrub sein Geld in die Erde, wo man es nicht mehr fand, da der Gehrenbauer bald hernach starb. Mit dem Sarge aber konnte man um alles in der Welt nicht zur Haustüre hinauskommen; die Hauswand musste durchsägt werden, was man heute noch sehen kann.
Auch seine Frevel wurden durch den "Butzi" bekannt gegeben, und der Gehrenbauer hatte darum zu Lebzeiten gedroht, er werde dem Bösewicht den Kopf abschlagen. Nun wandelt er selbst als Mann ohne Kopf. So ist er schon mehrmals im mittleren Gehren gesehen worden. Im oberen tobte er hauptsächlich in den Fronfastentagen im Stalle als böser Geist. Hieronymus der Sternengucker, ein frommer Mann, konnte ihn endlich mit einem "Chriesikratten" fangen und in den Oberwald bannen, von wo er zwar noch auf den Stall herabsehen, aber nie mehr in diesen zurückkehren kann. Im Walde aber hört man ihn hie und da erbärmlich heulen.
c. In der Grub.
In der Grub erscheint ein feuriger Mann; er schwebt am Waldrand hin und her. Dann hüpft er in den Wald und erhebt den Arm, als ob er einen schweren Stein werfen wollte. Dann wieder erscheint er als dürres Männchen mit rückwartsschauendem Kopf.
Die Grub gehörte einst dem vermöglichen Finkensteiner, der die Grenzen seines Besitztums rückte und damit den Nachbar betrog. Vor dem Richter half er sich mit einem falschen Eid. Das unrechtmässig erworbene Holz wurde zum Bau des Stalles verwendet, der ehemals in der Hinteregg stand. Dieser war bald berüchtigt; denn, nachts hörte man dort ein geheimnisvolles Flüstern, bald auch Poltern und Kettengerassel; andere sahen wunderliche Gestalten unter dem Dache aufflattern. Wer das sah und nicht sofort alle guten Geister anrief, hatte einen Ausschlag oder gar eine schwere Krankheit zu gewärtigen. Später wurde der Stall abgebrochen und in die Grub versetzt, wo er noch jetzt steht. Der "Gemeindsbutzi" hatte geraten, man soll die unterste Balkenlage an ihrer Stelle belassen; denn wie sie faule, werde auch der Spuk verschwinden. Der Rat wurde nicht befolgt, und so ist das lästige Servitut — das Grubmannli — auch auf den neuen Stall übergegangen.
d. Das Tschuppismannli.
Der Tschuppisbauer hat sich aus Liebesgram zuhinterst in seinem Heimwesen Felderzaun erhängt und wurde dann in einem Winkel der nahen Erlenwiese verscharrt, im Tschuppiswinkel. So oft nun ein junges, glückliches Ehepaar im Tschuppishaus einzieht, wird der Geist in seiner Ruhe gestört. Auf einem drachenähnlichen Hengste, in der Hand einen geringelten Stecken, reitet er dann im Tschuppis herum und verschwindet endlich auf der Oberdiele.
Seit 1858, wo der männliche Stamm des letzten "Gemeindsbutzi", des tapferen "Königs Kasverli", erloschen ist, hat man von allen diesen Spukgestalten keine mehr gesehen; es scheinen also die armen Seelen ihre Ruhe gefunden zu haben. Auch die Gehrenbauern können wieder frei aufatmen und glücklich haushalten, wenn es ihnen auch nicht gelingt, das goldene Kegelries ausfindig zu machen, welches zehn alte Glarnerklafter von der Stelle entfernt ist, wo ihr unglücklicher Ahne das Geld verborgen hat.
Ant. Kühne.
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 386, S. 221
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.