Wenn im Kirchturme zu Schänis der Vieruhrschlag des Abends dumpf und ernst ertont, dann fängt auf Petruns Alp, ob Rüttiberg, vom heiligen Klang erweckt, ein geheimnisvolles Wesen zu wirken an. Ein Glöcklein, hell und sanft, erklingt an unbekanntem Ort; — doch sicher ist es hier auf dieser Alp. Der süsse Ton, er lockt den Sennen an. Der Senne horcht, er wankt hinzu, er sucht; doch plötzlich ist das Glöcklein weit entflohn und gibt sich weit entfernt dem Sucher kund. Er eilt dem Flüchtling nach, verfolgt ihn, hält nicht ein, will ihn sehen, will ihn kennen. Aber das arme Glöcklein, dass es hinfüro sicher wandle, bescheiden wohl belauscht, doch nimmermehr verfolgt werde, es greift zur Notwehr, und plötzlich liegt erlahmt der freche Senn da.
Seit diesem Tage hat das Glöcklein noch oft ertönt, aber niemals mehr die Neugierde so hart bestraft.
H. Herzog, Schweizersagen
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Vorzeiten lebte am Steinerbach ein Mann, der infolge seines gottvergessenen Lebenswandels nach seinem Tode keine Ruhe finden konnte. Wenn die dunkle Nacht hereingebrochen war und die Geisterstunde schlug, sah man ihn auf seinem Hausdach herumklettern ohne Rast und Ruhe, Das beängstigte die Hinterbliebenen so sehr, dass sie kein Mittel unversucht liessen, den unheimlichen Gast loszuwerden. Einem frommen Gottesmanne gelang es nun, ihn in einen Korb hineinzubannen; mit diesem Korbe stieg er auf die Petruns Alp, um dem Armen da eine Ruhestätte anzuweisen. An einem Bächlein, zwischen Gestein und Gestrüpp, vergrub er den Korb. Aber seine vollkommene Ruhe hat der Unselige auch hier nicht gefunden. Wenn am Abend die Sonne untergegangen ist und dunkle Schatten sich über diesem einsamen Tälchen der Petruns Alp lagern, hört man deutlich sein Seufzen und Rufen tief aus dem Boden heraus, oft leiser, oft stärker, in der ganzen Alp vernehmbar. Neugierige Leute haben es schon oft probiert, nach ihm zu graben und das Wesen des seltsamen Rufes zu erforschen. Ein eitles Beginnen! Kaum hat man begonnen, so ertönt der Ruf von einer ganz andern Seite, wie um den neugierigen Sucher zu foppen, und so ist es noch keinem gelungen, den geheimnisvollen „Dätsch" zu erkunden.
B. Steiner
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 376, S. 215f
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.