Die Blümlisalp des Lötschentales

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Das weite Schneefeld hinter dem Dembachhorn war in alter Zeit eine prächtige fruchtbare Alp, die dem reichsten Bauern des Tales gehörte. Dieser hatte einen einzigen Sohn, und der war der Stolz der Familie. Als der Vater sich alt fühlte und der Sohn gross und stark geworden war, sandte er ihn hinauf auf die Alp und gab ihm Knechte und Mägde mit. Zum Abschied reichte er ihm die Hand und sprach ihm zu: «Sei willig zur Arbeit und hüte dich, das, was dir der Himmel schickt, mit vollen Händen wieder auszuwerfen!» Der Sohn gelobte es und reiste ab.

Viele Jahre waren seitdem verstrichen; der Vater war alt und lebensmüde geworden und hegte den Wunsch, vor seinem Tode noch einmal auf die Alp hinaufzusteigen und zu sehen, wie die Wirtschaft geführt werde. Die Nachbarn hatten schon lange allerlei gemunkelt, wie man dort oben Verschwendung und lasterhaften Luxus treibe, aber der Bauer hatte den üblen Reden kein Gehör geschenkt, und sein Vertrauen auf den Sohn war fest wie zuvor.

Mühsam und keuchend stieg er bergan, ruhte öfters aus, und als er die Hütten erblickte, da war er durstig und matt und froh, bald am Ziele zu sein. Die Alp strotzte von Fruchtbarkeit und das freute ihn; als er aber zu den Hütten kam, glaubte er seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Die Treppen der Sennerei waren aus gelben Käslaiben gebildet; rings um die Hütten war der Boden mit Butter und Ziegerballen gepflastert; die Dächer waren statt mit Steinen mit Käsen beschwert, der Pferch mit mannshohen Zieger-stollen umzäunt und, o Graus! er sah die Sennen, wie sie mit schweren Butterballen nach Kegeln warfen und sich damit belustigten.

Der Sohn hatte ihn seit geraumer Zeit erblickt und zeigte sich sehr unwillig über den Besuch. Erst nachdem der Vater mit dem Stock zweimal angeklopft hatte, kam er langsam heran, warf ihm einen bösen Blick zu und fragte trotzig, was ihn heraufführe.

Der Vater sagte: «Nun, weiter nichts, aber jetzt gib mir zu trinken, denn ich habe Durst!»

Da füllte der Sohn eine Schale mit Magermilch, streute Sand hinein und setzte sie dem Vater vor. Dieser setzte die Schale an, trank sie aber nicht aus. Er wischte den Mund mit dem Rockärmel‚ erhob sich, schritt wankend zur Tür hinaus und sagte in einem Tone, der aus gepresster Kehle stieg, er sei zum letzten Mal hier oben gewesen und werde ihn nicht mehr belästigen. Dann stapfte er eine Strecke weit bis ans Ende der Alp, kehrte sich um, ballte die Faust und rief mit einer Stimme, die durch die Felsen hallte: «Ihr Hügel und Berge, fallet nieder und decket meinen Sohn, seine Gefährten, die ganze Viehherde und alles, alles zu!»

Da ging ein Ton durch die Lüfte, wie ein Stöhnen und Ächzen. Der Himmel verfinsterte sich, der Boden zitterte, Blitz folgte auf Blitz, Schlag auf Schlag. Ein dumpfes Sausen und Brausen näherte sich, schwoll an zu einem orkanartigen Sturm, und nun senkte sich die Spitze des Dembachhornes, zerschellte im Aufschlagen in tausend und abertausend grosse und kleine Blöcke, eine gewaltige Steinlawine rasselte nieder und begrub die blühende Alp unter Schutt und Trümmern. Die Hütten und die Herden samt den fetten Alpwiesen, der undankbare Sohn, die Knechte und Mägde, alles, alles war spurlos verschwunden, untergegangen im Trümmermeer.

Der Vater stand da, in schauerliche Lust versunken, doch als er die Verwüstung sah, zitterte ihm das Herz in der Brust, und er trat betrübt den Heimweg an. Er konnte nie mehr froh werden, sein Fluch gereute ihn, und er ist bald darauf vor Jammer und Herzeleid gestorben.

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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