In der Herrschaft Grüningen soll in grauer Vorzeit ein sonderbarer Brauch geherrscht haben. Wenn ein zum Tode Verurteilter sein Leben lassen musste, führte man ihn zur „Richttanne“, wie man die Richtstätte damals hiess. Dort durfte der arme Sünder die Gnade erbitten, um sein Leben zu rennen, und diese Gnade konnte ihm nicht verweigert werden.
Man liess dann den Verurteilten in der Richtung gegen das Haus rennen, das da heisst „Angst und Not“. Nach einer gewissen Zeit, wenn also der um sein Leben Laufende einen bestimmten Vorsprung hatte, liess der Richter ihm Ross und Reiter nachjagen. Vermochte der Laufende das Haus zu erreichen und zu betreten, bevor die Reiter ihn eingeholt hatten, so durfte die Todesstrafe an ihm nicht vollzogen werden, im anderen Falle hatte er sein Leben endgültig verwirkt. Weil nun die Gejagten, wenn sie Hufschlag der Verfolger hörten, in den Ruf ausbrachen: „O, hilf mir Herr in meiner Angst und Not!“ erhielt das dort stehende Haus den Namen „Angst und Not“.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Oberland
Mündlich von Lehrer Wilh. Fischer, Bubikon 1945.
Variante: Ein Delinquent sollte an der Richttanne gehängt werden. Aber er machte sich frei und rannte den Hang hinab zum nächsten Haus und rief: „Ach, verbergt mich doch, ich bin in einer Angst und Not!“ Von da an soll der Weiler den bekannten Namen haben. - Nach dem Grüninger Amtsrecht von 1668 wurde das Hofgericht zu Dürnten im Dorfe Dürnten abgehalten. Anerkannte eine Partei den gefällten Rechtsspruch nicht, so wurde „zu Adletshussen uff der Höhe“ Nachtag gehalten. Seltsam genug, dieser Rechtstag auf freier Bergeshöhe, denn vom dortigen Wirtshaus wird noch nichts gemeldet. Ob dort vielleicht das Gericht unter einer Tanne tagte? Jedenfalls befand sich dort keine Richtstätte. Dennoch heisst der Ort „Richttanne“. Das Hochgericht des Amtes Grüningen befand sich auf einem aussichtsreichen Hügel zwischen Grüningen und Adletshausen. Das Amtsrecht bestimmte: „Ytzickhen ist schuldig, das Hochgericht machen zu lassen und vor dem Abgang zu erhalten. Adletzhusen soll dazu die Leiteren machen lassen.“ - Zur Ortsbezeichnung „Angst und Not“ äussert sich Bruno Boesch in der Zs. „Der Deutschunterricht“, Heft 5/57, Stuttgart, S. 44: „…und an der Stelle Angst und Not (mundartlich Angschtenot) stand vielleicht vor Zeiten ein Bildstock mit der Darstellung Christi am Oelberg.“
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch