Die Bälzerin
Der Sonnenwiesbauer holzte einst im Tössstocktobel hinten. Da sein Arbeitsplatz ziemlich weit von zu Hause weg war, liess er sich durch seinen Buben das Mittagessen bringen. Am Wege zu diesem Tobel stand zu jener Zeit eine Hütte, in welcher ein altes Weib hauste‚ das man die Bälzerin nannte. Sie war als Hexe verschrien und gefürchtet.
„Wohin willst du?“ fragte die Hexe das Büblein. „Ihr seht es ja!“ gab es zur Antwort und dachte, es gehe die Alte nichts an. Diese nicht gerade höfliche Antwort ärgerte die Hexe, und sie wollte dafür dem Kerlchen eins auswischen. Als es in das einsame Tösstobel kam, so überraschte es ein starker Regenguss, obschon kein Wölklein den Himmel trübte.
Bald darauf erreichte das Bürschchen tropfnass den Vater, der sich erst die Augen ausreiben musste, um recht zu sehen. Über den Umstand befragt, erzählte das Söhnchen, wie die Bälzerin es ausgefragt, und was es geantwortet habe. „Ach so!“ sagte der Vater, „aber wart nur, wir wollen der Hexe dafür tun!“ Er hiess das Knäblein in der Pooalp oben eine Mass Milch zu holen. Unterdessen schnitt er drei gleichlange und gleichdicke Haselstecken. Er setzte die Milch über das Feuer und rührte mit den drei Stecken drin herum, solange, bis die Milch anfing anzubrennen.
Auf einmal kam durch das Holz die Bälzerin dahergeschnauft und flehte den Vater Oberholzer in den höchsten Tönen an, mit Rühren aufzuhören, da sie sonst elend umkommen müsse. Dieser lächelte zuerst ein wenig, denn er hatte im Umgang mit Venedigern und andern Schwarzkünstlern allerlei erfahren und gelernt. Er rührte, um der Hexe zu zeigen, wer der stärkere sei, noch ein paarmal in der Pfanne herum, dass es der Alten wind und weh wurde und ihr der Angstschweiss in erbsengroßen Tropfen am Leib herunterlief. „Gelt, du alte Hexe!“, sagte er dann zornig, „dich hab ich erwischt! Du brauchst nicht anderen Leuten zuleidwerken. Und dass du daran denkst, musst du jetzt noch einen rechten Stüber haben!» Sprachs und salbte ihr den Buckel mit den drei Haselstecken.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Oberland
A. Oberholzer im St.-G. T., 1905. Wetterhexengeschichten erzählte man sich bis weit ins 19. Jh. hinein. Die Bälzerin, die und der Einsamkeit des Tössberglandes haust, hat noch etwas vom Geruch der „Zaunreiterin“, des Dämonischen, an sich. Id.4, 1222, s. v. balzen: einen handgreiflich plagen, im Scherze herumzerren.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.