Einst sassen in Kippel drei Schuster auf der Stör, und sie waren lustig und guter Dinge, trieben allerlei Kurzweil und erzählten sich Schnurren und Bozengeschichten, derweil sie das Leder klopften und den Pechdraht zogen. Da sagte einer von ihnen, er stifte dem die schönste Lötschtaler Trinkelkuh, der es wage, diese Nacht um zwölf Uhr in die Guggialp zu gehen und dort einem Schuh ein neues Sohlenleder aufzusetzen. Es war ein Quatembersamstag, und an solchen Tagen ist es immer ein bisschen unheimlich an abgelegenen Orten, und in der Guggialphütte soll es von alters her immer gespukt haben. Als sie so eine Weile hin und her geredet, gespottet und gelacht hatten, schlug Simud, der verwegenste der drei Schuster, auf den Tisch und sagte: «Gut ist gut, wenn ihr mir die drei Sachen mitgebt, die ich verlange, so werde ich die schöne Trinkelkuh noch diese Nacht gewinnen! Ich brauche ein gutes, gesatteltes Pferd, einen guten, scharfen Säbel und eine geweihte Kerze!» Die andern zwei sagten, wenn es ihm nur daran fehle, so könnten sie ihm das Verlangte schon verschaffen, in die Guggialphütte hinauf komme er ja doch nicht und am wenigsten in dieser Quatembernacht. Während das Pferd geholt und gesattelt wurde, räumte der Schuster Simud so viel Leder und Handwerkszeug zusammen, als er zum Besohlen des Schuhes gebrauchte, dann sagte er, er werde in der Guggialp ein Zeichen zurücklassen, dass er dort gewesen sei und schwang sich auf das Pferd. Die beiden Genossen hatten bis jetzt seine Worte als Spass aufgefasst; als sie sahen, dass der Tollkühne das Abenteuer wirklich wagen wollte, versuchten sie ihn zurückzuhalten. Er aber rief vom Pferd aus: «Ihr sollt sehen, wie ich in wenig Stunden eine Trinkelkuh verdiene» und ritt davon.
Bis nach Dermatten ging es im Galopp, dann liess er das Pferd verschnaufen, da der Weg immer schmaler und holperiger wurde, und auf einmal zwickte ihm ein Ast so heftig ins Gesicht, dass ihn das Auge schmerzte. Das erregte seinen Zorn. Er zog den Säbel und hieb mit demselben wie wild kreuz und quer in den Busch, dass die Blätter und Zweige nur so herumflogen. Da flammten feurige Augen auf, und es rief aus dem Buschwerk:
«Hättest du heute nicht Reissens und Beissens,
Nicht Geweihtes und Gewagtes,
So würde ich dich zerreissen,
Aber wenn du kommst bis zum Chluistein,
So will ich dich lehren spinnen rein!»
Der Schuster zuckte die Achseln, lachte in die pechschwarze Nacht hinaus und sagte: «Ja, ja, ich glaube es schon, das Pferd und der Säbel und die geweihte Kerze, die stechen dich in die Nase, heute bekommst du den Rechten, du, du!» Er setzte das Pferd wieder in Galopp, ritt beim Ried und bei den Platten vorbei, wo sich weiter nichts ereignete und kam zum Horrou. Als er die Guggischlucht hinaufritt, wo die Felsen beidseitig der Strasse immer näher zusammentreten, sah er eine feurige Gestalt, die rittlings auf der schmalsten Stelle, dem Chluistein, sass. Zwischen den Beinen dieses Ungeheuers musste er durch, da gab es kein Abwägen und Zaudern. Je mehr er sich dem Ungetuüm näherte, desto grösser und furchtbarer wurde es, schwoll an und blähte sich und überragte die höchsten Baumspitzen. Das Pferd streusste die Ohren, scheute und wollte nicht mehr vorwärts. Aber er streichelte ihm den Hals und trieb es an. Als er das Ungeheuer ganz nahe vor sich sah, wurde ihm doch ein bisschen angst, und es fuhr ihm prickelnd über den Rücken. «Der leibhaftige Teufel wirst du wohl nicht sein», schrie er, schlug das Kreuz und trieb das Pferd an, das in schnellem Tempo die Schlucht empor stieg. Jetzt schritt es zwischen den Beinen der feurigen Gestalt durch, der Schuster duckte sich und glaubte, sie habe ihn vom Scheitel bis zur Zehe berührt; ein Schauer durchrieselte seinen Körper, aber er kam glücklich vorbei und näherte sich der Guggialphütte.
Am Ziele angekommen, band er das Ross an die Hütte und steckte die geweihte Kerze in Brand. Darauf trat er in die Stube, stellte das Licht auf den Tisch, rückte nahe zum Fensterchen, packte das Schusterwerkzeug aus und fing gemütlich an mit der Arbeit. Als er am besten dran war, flog das Fensterchen auf, ein scheusslicher Schweinskopf mit feurigen Augen von Tellersgrösse grinste herein und fragte ihn allerlei dummes Zeug. Der Schuster tat, als ob er allein wäre, gab keine Antwort und beeilte sich, mit der Arbeit fertig zu werden. Aber das Borstentier fragte ihn bald dies und bald das, verlegte ihm das Werkzeug bald hierhin, bald dorthin und verlangte von diesem und jenem den Namen zu wissen. Nun blieb der Schuster die Antwort nicht schuldig, doch als das Fragen nicht aufhören wollte, griff er zum Knieholz und schlug dem Ungetüm damit auf die Tatzen. «Gehst mir fort mit deinen Schmierkrallen, du garstiges Rüsselvieh. Entweder kommst du herein oder gehst weg vom Fenster!» Da sprang das Tier mit einem Satz durchs Fenster in die Stube. Der Schuster hatte den letzten Stich gemacht und legte das Werkzeug zusammen. Da ihn hungerte, ging er zum Kochherd, fachte die Glut an und briet sich ein Stück Käse am Feuer. Als das Untier sah, wie er den Käse schmolz und dünne Scheiben wegstrich, die gar gut dufteten, hielt es einen Fuss ins Feuer, briet sich die Zehen und schnitt auch davon ab. Und was nun! Es setzte auch dem Schuster von seinem Braten vor und hiess ihn davon essen. Der Schuster aber sagte barsch und kurz: «Friss du von deinem und ich von meinem!» Da fuhr das Ungeheuer vor Zorn in die Höhe, polterte in der Stube herum und verschwand zum Fenster hinaus.
Der Schuhmacher packte sein Werkzeug in die Ledertasche und machte sich auf den Heimweg. Im Trab und Galopp legte er die lange Wegstrecke ohne jede Störung zurück, und als die Sonne die Spitze des Bietschhornes vergoldete, war er zu Hause in Kippel. Schweissbedeckt und von einem heftigen Fieber geschüttelt, legte er sich ins Bett und stand nicht mehr auf. Von der Trinkelkuh, welche die beiden andern Schuster seiner Familie geben mussten, hatte er keinen Genuss mehr, denn er starb noch im selben Jahr.
Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.