Von Goldlöchern
Es war vor langen Jahren, als im Goldingertal zwei junge, krausköpfige welschparlierende Burschen erschienen. Gross und klein spähte nach ihnen, die Bauern durch die Astlöcher im Tenntürli und das Weibervolk hinter den Umhängen hervor.
Das Treiben der beiden nahm sich gar sonderbar aus. Sie stiegen in jedes Bächlein hinab, um im Geröll zu stochern. Sie klopften mit ihren Hämmern an allen Felsen, und wo sie etwas Glänzendes im Gestein erhaschen mochten, steckten sie es in einen ledernen Sack. Nach einiger Zeit hatten die Leute herausgebracht, dass die beiden Fremden, Venediger nannte man sie, Gold suchten. Ob sie welches gefunden, weiss man nicht.
Zu jenen Zeiten soll es üblich gewesen sein, das Vieh auf den Weiden mit Steinen zu treiben. Das beobachteten auch die Welschen. Kopfschüttelnd meinten sie zu den Hirten, wenn sie wüssten, was für Steine sie da herumwürfen, so würden sie dieselben nicht den Kühen nachwerfen.
Am Abhang der Kreuzegg, da wo jetzt das Steingewirr des abgebrochenen Berges liegt, gruben die Venediger eine mächtige Höhle. An den Wänden und am Boden kratzten sie den Sand ab und trugen ihn in Säcken fort. Ihr Quartier hatten sie in Jöslis Haus bezogen. Das ist heute die Wirtschaft zur Sonne in Hintergoldingen. Obschon sie dort mit verschiedenen Einheimischen zusammenkamen‚ liessen sie kein Wort vom Gold verlauten. Wochen und Monate wühlten sie in der Erde. Sie gruben so lange, bis am 28. Brachmonat 1757 die Höhle und der ganze Berg zusammenfielen. Seither heisst er der „abproche Berg“.
Aber die Venediger wurden noch nicht kopfscheu. Am Dägelsberg begannen sie eine neue Höhle auszugraben. Auch da arbeiteten sie mit grossem Fleiss, ja sie gruben so tief in den Fels hinunter, dass dem Brunnen in der Hübschegg das Wasser abgegraben wurde. Am Sonntag stiegen die Goldsucher ins Fischenthal hinunter, wo sie jeweilen in der „Blume“ eins auf den Zahn nahmen, wie der Vater des hier aufgewachsenen Anselm Rüegg erzählte.
Von den Venedigern weiss der Volksmund noch allerlei Geschichten zu erzählen. Der eine von ihnen war ein besonders hübscher Bursche mit dunklen Augen und schwarzem Kraushaar. Von dem träumten bereits alle Mädchen rund um den Tössstock herum, ganz ander als sie jeweilen von den Fischenthaler-‚ Sternberger- oder Walderburschen träumten. Und es dauerte wirklich nicht lange, bis er eine am Bändel hatte, ein hübsches Bauernkind aus dem Oberholz. Die Oberholzer Burschen freuten sich sie über den Vorstoss in ihre Rechte nicht, aber sie trösteten sich damit, dass er einen rechten Anstand zahle, wenn schon einer den ganzen Tag mit Gold zu tun habe. Aber der Fremde wusste vom Anstand nichts, nicht einen Batzen klaubte er aus seiner Blater heraus. Im Gegenteil, er begann zu welschen wie besessen, er sei niemandem etwas schuldig. „Was?“ brüllten ihn die Burschen an, „nichts schuldig?“ Und sie schüttelten ihre Fäuste unter seiner Nase. „Den Anstand bist du uns schuldig, wie jedermann, der von auswärts zu unseren Mädchen z Liecht geht. Das ist Brauch, und wer sich dem nicht unterzieht, kann seine blauen Wunder erleben!“ Der Goldgräber begann schrecklich aufzubegehren, er habe seinen Schatz nicht gekauft und brauche ihn nicht zu zahlen. Da verprügelten ihn die Oberhölzler erbärmlich, und während die einen ihm die verschiedenen Punkte seines Sündenregisters vorhielten, gerbten die andern ihm das Fell. Von Stund an sah man den Venediger nicht mehr. Wahrscheinlich lief er spornstreichs nach Hause, um seiner Mutter von seiner blonden Geliebten und den barbarischen Bräuchen in unserem Lande zu erzählen.
Vom andern Venediger wusste der alt Schulmeister Anselm Oberholzer im Oberholz auch eine Geschichte zu erzählen.
Als die Venediger im Berg oben nach Gold gruben, kam einst einer am Abend zur Essenszeit ins Oberholz herunter und fragte ums Übernachten beim Sonnenwiesbauer. Der Bauer liess ihn nur ungern herein, denn man kannte die fremden Vögel zu wenig — oder zu gut. Als es dann ans Essen ging, liess ihn die Bäuerin merken, dass man zuwenig Milch habe. Da lachte der Welsche und sagte, dem sei leicht abzuhelfen. Er deutete dem Hausvater, mit ihm vors Haus zu kommen und einen Melkkübel mitzunehmen. Im Schopf draussen nahm er das Hagmesser und schlug es hinten in den Sägebock hinein. Sodann holte er den Melkstuhl, nahm den Kübel zwischen die Beine und begann aus dem Messerheft die beste Milch herauszumelken. Dem Sonnenwiesler kam die Sache nicht ganz geheuer vor, aber der Welsche beruhigte ihn, er solle nur zufrieden sein, die Milch komme von den Kühen auf der Scheidegg drüben.
Als der Vater Oberholzer die Geschichte von der ferngemolkenen Milch in der Wirtschaft erzählte, fanden die Oberhölzler, man habe jetzt von den Venedigern genug gehört und erlebt: Da kamen sie, machten das Weibervolk närrisch, gruben Wasser vom Hübscheggbrunnen ab, liessen einen Berg einstürzen, zauberten und hexten; nein, so etwas konnte man nicht anstehen lassen.
Eines schönen Morgens kam der Landvogt mit seinen Knechten und suchte den Goldgräber und Zauberkünstler, und da fand er auch den andern noch, der den Anstand nicht bezahlt hatte. Der war also doch nicht über die Berge davon. Der Landvogt machte keine Umstände und nahm die Herrschaften mit nach Zürich. Dort machte man ihnen den Prozess, weil ja die Schatzgräberei verboten war. Was bei dem Prozesse herausschaute, weiss man nicht, aber das weiss man, dass die Venediger versprachen, den Herren Räten aus ihrem Golde eine Kette herzustellen. welche um die ganze Stadt Zürich herumreiche, sofern man sie frei lasse. Dieses grossmäulige Versprechen trug ihnen aber nichts ein.
Später wühlte auch ein Heidegger von Zürich im Goldloch am Dägelsberg. Zimmermann Hansheiris Grossvater in der Vorderschüür musste ihm jeweilen die Spitzeisen nach Wald hinuntertragen‚ wenn sie nachgeschliffen werden mussten. Er erzählte, dass er dann immer über die Bachscheide und die Wolfsgrub gegangen sei, weil das der nächste Weg war.
Als das Goldloch längst verlassen war, bemächtigte sich seiner der Teufel. Die Leute mieden die Gegend, wo ein Loch gerade hinunter zur Hölle führte. Joggelis Hansruedi, der Schwefelholzkrämer, wusste davon auch noch eine Geschichte zu erzählen, dass einem die Haare zu Berge standen und man sich nicht mehr getraute, die Füsse unter den Stuhl zu halten.
Als Hansruedi noch ein junger, kräftiger Bursche war, musste er einst hinten im Baurenboden ein Kalb holen. Wie er auf dem Weg war, brach ein Unwetter los, und der Bursche wusste nichts Besseres, als in das nicht weit entfernte Goldloch hinaufzurennen, um unterzustehen. Aber als er dort im Eingang stand und das Wetter von seinem trockenen Plätzchen aus betrachtete, stieg etwas durch die Leiter aus dem Loche herauf, und ehe sich’s Hansruedi versah, hatte sich der Teufel hinter ihm aufgepflanzt. Unser Hansruedi war sonst ein unerschrockener Kerl und nicht von den Gfürchigen, aber als der andere so sprungbereit hinten in der Höhle stand, die Geissfüsse in den Boden stemmte und mit dem Munischwanz wedelte, da war es ihm nicht mehr ganz wohl. Auf einmal stürzte der Schwarze auf ihn los, und Hansruedi nahm Reissaus. Was die Füsse mochten, rannte er durch Dornen und Gestrüpp auf das Schnebelhornwirtshaus zu. Aber der Teufel mochte ihn mit seinem Bratspiess erreichen und konnte ihm damit einen Stich ins linke Bein versetzen. Zerfetzt und zerschunden langte er im Bergwirtshause an und liess sich, mehr tot als lebendig, auf die erstbeste Bank niederfallen.
Seine Haare waren vor Schrecken in dieser kurzen Zeit erbleicht und für seiner Lebtag grau geworden, und sein linkes Bein blieb für immer lahm.
Diese „Vineder-Mannli“ waren Heiden. Wenn eines von ihnen starb, wurde ein tiefes Grab gemacht. Der Verstorbene kam aufrecht in die Grube zu stehen. Sie glaubten, der Tote müsse ins Jenseits eine grosse Reise über einen sehr breiten Fluss antreten. Daher legten sie dem Dahingeschiedenen eine Münze auf die Zunge. Diese war für den Fährmann bestimmt, der ihn in einem Schiffchen in das Land der Toten fahren müsse. In die rechte Hand erhielt er ein Stück Brot, damit er auf der langen Reise nicht Hunger leide.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Oberland
Hegi, S. I3; Id. 3, 1031, s. v. Goldloch, 1, 833, s. v. Venediger; VB., 8. 6. 1923; Lüssi, F.: HL. 1935, 44; Keller, „Chelleländer Ard und Brüüch“ S. 83. Mündlich von ‚Geissenvater Rüegg im Baurenboden. Dieser selber hatte die Erzählungen von Joggelis Hansruedi, dem Schwefelhölzliktämer, und von Zimmermanns Hans Heiris Grossvater auf der Vorderscheuer, welcher seinerzeit dem Heidegger die Spitzeisen nach Wald trug, um sie Inder Schmiede zu schärfen. Letzter Abschnitt aus Kuoni, Sagen des Kantons St. Gallen 1902, S. 267
Lehrer Jäger in Goldingen erzählte mir etwa um 1944 eine Sage von einem dritten Goldloch. Dieses befindet sich am Goldingerbach, direkt unterhalb des abgebrochene Berges. Sein Eingang liegt auf ca. 1000 m. ü. M., ist ca. 1 m hoch und 6 m breit. Innen erweitert sich das Loch und führt etwa 60 m ins Innere. Nicht weit vom Eingang zweigt ein zweiter Stollen ab‚ der sich wiederum in einen 25 m und einen 50 m langen Gang gabelt. Wenn man aus diesen Höhlenwänden Mergelbrocken bricht und zerschlägt, sieht man an den Bruchstellen staubfeine und goldglänzende Teilchen. Über deren Beschaffenheit ist bis jetzt nichts bekannt. Architekt Senn im Steg-Fischenthal hat die Höhle erstmals vermessen, wahrscheinlich um 1930. In dieser Höhle war nach Lehrer Jäger auch ein Schatz vergraben. Wer ihn heben wollte, musste den Teufel anrufen, der alsobald hinten in der Höhle erschien. Wer ihn im Ringen überwinden möchte, konnte zu den Glücksgütern gelangen.
Die Venediger, die oft als Schatzgräber und -finder und er Schweiz auftauchten, konnten „mehr als Brot essen“ oder „mehr als das Vaterunser beten“. Man schreibt Ihnen Zauberkünste alle Art zu, von denen die bekannteste das Schatzfinden ist. Sie konnten die Schätze zu Hause schon durch ihren „Bergspiegel“ sehen.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.