Da wo heute der „Felsenhof“ in Hinwil steht, stand vor mehreren Jahrhunderten ein Bauernhaus. Dazu gehörten viele Wiesen und Äcker. Darum herum stand, so weit das Auge reichte, weiter Wald. Der Bauer war ein rüstiger Sechziger. Er war früher Meisterknecht des Ritterhauses Bubikon gewesen. Deshalb konnte er auch schreiben, und er teilte seine Schreibkunst auch seinen Söhnen mit. Seine Frau Dorothee war ihm frühe gestorben. Mit seinen beiden Söhnen Hans und Ulrich bewirtschaftete er seinen grossen Hof.
Doch die Brüder hatten ständig Streit, weil der Erstgeborene ein reizbarer Bursche war. Das Zerwürfnis vergrösserte sich, als Hans, der ältere, ein Weib ins Haus brachte. Da beschied der Vater Ulrich vor sich und eröffnete ihm den Wunsch, er möchte sich eine Frau nehmen und dann im Umkreis von zehn Stunden an einem ihm passenden Orte einen eigenen Hof errichten. Der jüngste Sohn befolgte des Vaters Rat, und der erhielt als Erbe die Hälfte des Viehstandes von des Vaters Hof, nebst einem schönen Stück Geld.
Mit seiner Habe zog er dem Wildbach nach talaus. Er bahnte sich durch Wald und Gestrüpp einen Weg. Ulrich und seine Frau fanden denn auch nach einer Weile einen freien Platz, wo sie sich die neue Heimstatt erbauten. Einige Jahre verstrichen. Obwohl die Familie Ulrichs keinen Mangel leiden musste, war sie doch des Lebens nicht ganz froh, weil sie Inder Abgeschiedenheit der Nachrichten vom Elternhause entbehrten.
Endlich verirrte sich ein wandernder Schneider zu ihnen. Weil auf dem neuen Hofe in den letzten Jahren an den Kleidern nicht viel gemacht worden war, hatte der Schneider längere Zeit zu tun. Er erzählte den Vereinsamten auch von Land und Leuten, so dass ihre Sehnsucht nach dem Vaterhause erwachte.
Doch wegen des ältern Bruders Wildheit getrauten sich Ulrichs Leute selbst nicht, den väterlichen Hof aufzusuchen. Deshalb gedachten sie, den Schneider mit einem Zeichen dorthin zu schicken. Ulrich versorgte also den Boten mit Zehrung und ging eine Tafel zu holen, auf welcher er dem Vater mitteilen wollte, er solle ihn aus seiner freiwilligen Verbannung erlösen.
Während nun Ulrich die Tafel suchte, stahl der Schneider einige Schweinsrippli und liess sie in seinem Schnappsack verschwinden. Dann erschien der Hausvater mit der gefundenen Tafel, auf der nichts weiter stand als „Erlösen“.
Der Schneider versprach, alles zu besorgen und verabschiedete sich. Als er unterwegs ausruhte, betrachtete er die Tafel aufmerksam. Da er selber nicht schreiben konnte, hätte er gerne gewusst, was die Zeichen bedeuteten. Über dem Schriftbild standen zwei seltsame Zeichen, die den gestohlenen Schweinsrippchen ähnlich sahen. Vielleicht, dachte er, sind es auch zwei Bockshörnchen, und sie bedeuteten, dass er ein Schneider sei. Es war ihm nicht ganz geheuer zumute, wie einem, der kein gutes Gewissen hat. Zur Vorsicht wischte er die beiden Striche aus.
Glücklich traf der Schneider den alten Vater, und er übermittelte ihm die Tafel, auf welcher er das Wort „Erlosen" las. Er hatte somit keine Ahnung vom Anliegen seines Sohnes. Er vermutete aber, er habe seinem Hofe diesen Namen gegeben und er befinde sich mit seiner Familie in geordneten Zuständen, sintemalen der Schneider von keiner Not berichten konnte auf Ulrichs Hof. Seither ist der Name an dieser Ortschaft geblieben und sie trägt ihn noch heute.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Oberland
Jahrbuch Pfäffikon Nr. 2, S. 41/43, erzählt von Kalligraph Rüegg, dem sein Vater die Geschichte oft vorgetragen hatte.
Es ist wahrscheinlich, dass an der Stelle des Felsenhofs (gebaut als privates Geschäftshaus um 1830, 1874 Sekundarschulhaus, 1918 Gemeindehaus, 1958 abgerissen für ein neues Primarschulhaus) ein Bauernhaus stand; die Urkunden über die Ritter von H. deuten darauf hin. Es ist auch als sicher anzunehmen, dass Erlosen von Hinwil aus besiedelt wurde. K. W. Glaettli, Die Entstehung der politischen Gemeinde Hinwil, im Jahrheft der Antiqu. Ges. Hinwil 1950. Zur Namendeutung, sieh Id. 3, 1436, s. v. Er-losen, „Flurname für Grundstücke, die nicht mehr gepflügt werden, sondern in Wiese oder Wald umgewandelt sind oder wegen ihres unfruchtbaren Grundes nicht zu Ackerland taugen. Der Name ist abgeleitet von ahd. arian mhd. eren = pflügen. Andere Beispiele: Erlosen (Höchstetten BE), Erlisse (Zollikon ZH), Erlos (Rinach LU).