Vor vielen Jahren waren auf der Flumser Alp Ruhegg sehr verschwenderische und mutwillige Alpknechte, von denen der Senn und Zusenn "Joggäli" hiessen. Sie kochten nur die leckerhaftesten Alpenspeisen und immer weit mehr als bloss für ihren Bedarf. Was sie nicht aufzuessen im stande waren, taten sie in einen ausgehöhlten Stock in der Hütte, welchen sie auch "Joggäli" tauften.
Wenn dieser voll geworden, schimpften sie über ihn und sprachen: "Du dummer Joggäli, warum frissest du nicht, da man dir doch so gut aufwartet?" Der hölzerne "Joggäli" schien endlich des ewigen Schimpfens müde geworden zu sein und fing gegen Ende des Sommers zum Schrecken der Knechte wirklich zu essen an.
Zum Trost war aber die Zeit der Alpentladung herangerückt. Nur der Senn musste noch für etliche Tage ganz allein in der Hütte zurückbleiben, um auszusennen.
Der Zusenn aber hatte vergessen, seinen Melkstuhl mit heimzunehmen und solches erst bemerkt, als er zu Hause angelangt war.
Er entschloss sich, diesen zu holen. Zwar regte sich bei der Erinnerung an den Stock etwelche Furcht in ihm; allein er fasste Mut und ging, nahm aber zur Sicherheit geweihte Sachen mit.
Als er unter die Tür der Alphütte trat, erblickte er mehrere grässlich aussehende Männer, welche um den hohlen Stock herum sassen und sich gütlich taten.
Sie zeigten mit triumphierendem Hohne unter das Hüttendach hinauf, wo der ausgeschundene Senn an einem Geschirrgestell aufgehängt war, und riefen mit hohler Stimme:
"Ä Joggäli Hand ihr gschundä,
Ä Joggäli Hand wir gschundä.
Und Joggäli wemmer meh schindä!"
Der Zusenn dachte: "Da machst du, dass du fortkommst; sönst ist es mit dir Matthäi am letzten Kapitel!" Er nahm seinen Melkstuhl, auf welchem der nächste der unheimlichen Gesellen sass, eilte damit zur Hüttentüre hinaus und entkam glücklich, hörte aber noch nachrufen: "Es kam dir gut, dass du geweihte Sachen bei dir hattest; sonst wäre es dir übel ergangen!"
An dem Orte, wo der unglückliche Senn gehangen, befestigten die Flumser hernach ein rotes Grabkreuz, wie sie solche auf ihrem Friedhofe haben, und wer jene Alphütte besucht, kann dieses heute noch sehen. Es ist immer noch wie neu, trotz Alter und Hüttenrauch.
J. Natsch
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An der Stelle, wo der "Joggäli" geschunden wurde, steht jetzt ein schwarzes Kreuz. Man wollte dieses schon oft ins Tal herunternehmen und auf dem Friedhof aufpflanzen; aber es kam allemal von selbst wieder auf die Alp zurück.
K. Tschirki
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Die Sünde, deren die Alpknechte sich schuldig machten, ist die Verschwendung der Gottesgaben und der Missbrauch des Sakraments der Taufe.
O. Giger erzählt ebenfalls von dem Frevel der Alpknechte, nennt aber den Joggäli "Knochli".
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 306, S. 170f
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.