Zur Zeit, als die Pest unter dem Namen «der schwarze Tod» in Graubünden grassierte und unzählige Opfer forderte, sodass ganze Höfe ausstarben, machte man die Beobachtung, dass kein einziges Fänggenmannli oder -wibli von der Seuche hingerafft wurde. So kam man zum Schluss, dass dieselben ein geheimes Rezept, ein Arcanum, besitzen müssten. Endlich erdachte sich ein Bauer eine List, wie er das Geheimmittel den Zwergen entlocken konnte. Es zeigte sich nämlich ein Fänggenmannli oft auf einem grossen Stein, der eine bedeutende Vertiefung hatte. Dem Bauer war das Lieblingsplätzchen des Fänggen wohl bekannt. Daher ging er hin und füllte die Höhlung des Steines mit einem guten Veltlinerwein und verbarg sich dann in der Nähe. Nach einer Weile kam das Zwergenmannli und blickte ganz verdutzt auf das funkelnde Nass in der Höhlung des Steins. Mehrmals bückte es sich mit dem Näschen über den Wein und hob alsbald wieder den Kopf. Dann winkte es mit dem Zeigfingerchen und rief: «Nei, nei, du überchust mi net.» Aber als es sich ganz nahe über den Wein gebeugt hatte, war ein Tropfen am Schnäuzchen hängengeblieben und es leckte ihn mit der Zunge ab. Da stieg die Begierde und es sagte zu sich selbst: «Ei, mit dem Finger tunken darfst du schon.» Gesagt, getan, es leckte das Fingerchen ab, wohl hundertmale, und wurde dabei immer lustiger. Es fing an, allerlei Zeugs vor sich hin zu schwatzen. Da trat der Bauer wie zufällig herbei und fragte, was denn gut sei gegen die Pest. «Ich weiss es wohl,» sagte das Zwergenmannli, «Eberwurz und Bibernella – aber das sage ich dir noch lange nit.» – Jetzt war der Bauer schon zufrieden und nach dem Gebrauch von Eberwurz und Bibernell musste niemand mehr an der Pest sterben.
Quelle: Jecklin, Dietrich, Volksthümliches aus Graubünden, Teil 1, Zürich 1874, sprachlich leicht angepasst von Andrea Hofman