Es war einmal in einem Dorf ein gutmütiger Kerl.
Der hackte für alle Leute Holz, und wohin er ging, überall sagten sie ihm, der Herrgott werde ihm schon den Lohn dafür geben. Wie dem auch sei, solange er vom Eigenen leben konnte, war er zufrieden, aber das dauerte nicht so lange, und er wollte des Herrgotts Lohn einmal einziehen. Vor dem Weggehen ging er noch zum Priester, um Abschied zu nehmen. Der sagte dann zu ihm: «Wenn du zum Herrgott kommst, so frage, wie viele gute Messen ich gelesen habe.. - «Das will ich schon tun», antwortete der arglose Kerl und machte sich auf den Weg.
Auf der Reise kam er in ein Kloster. Die Klosterbrüder fragten ihn, wohin er gehe. Er antwortete: «Zum Herrgott». - «Wenn du zum Herrgott kommst», sagten die Klosterbrüder, «so frage, weshalb wir keinen Frieden haben.» Nach einer langen Reise kam der gute Kerl auf einen Hügel. Dort sah er den Heiland am Kreuz und forderte von ihm seinen Lohn. Der Heiland am Kreuz antwortete: «Für heute geh nach Hause, deinen Lohn bekommst du morgen.» Danach stellte der gute Kerl noch die Fragen für den Priester und die Patres. Der Heiland am Kreuz antwortete: «Dem Priester kannst du sagen, er solle in den Garten gehen und schauen, wie viele Rosen aufgegangen seien; so viele gute Messen habe er gelesen. Den Patres kannst du sagen, sie sollen den und den Pater dazu bringen, das Kloster zu verlassen; der sei ein Hexenmeister; dann werden sie Frieden haben.»
Zu Hause überbrachte er die Antwort des Heilands dem Priester. Der ging in den Garten und sah nur eine blühende Rose, denn nur seine erste Messe war dem Herrgott gefällig gewesen. Und als er mit der Nachricht ins Kloster zurückkam, gaben sie ihm einen grossen Lohn, und damit konnte er von nun an gut vom Eigenen leben.
(Oberhalbstein)
Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.