Das Lokenbrünneli
Das Lokenbrünneli liegt an der rechten Seite der Strasse von Witikon nach Fällanden, neben dem Oetlisberg. Seit Jahrhunderten erfrischt es die Vorbeiziehenden; noch heute ist das einfache, fast ärmliche Holzbrünneli ein willkommener Ruhepunkt für die vielen Greifenseewanderer. Martin Usteri berichtet darüber:
Die edle Frau Meiss von Zürich, die aus dem Geschlecht der Tygen stammte, fand ihren Junker Ehemann offenbar recht langweilig und vergnügte sich daher oft in Gesellschaft der lustigen Herren von Regensberg. Eines Tages wurde in den Wäldern des Zürichberges eine grosse Jagd veranstaltet; wobei sich die Frau zu den Regensbergern hielt und bald den Blicken ihres Gemahles entschwand. In der Gegend von Witikon traf man sich wieder. und lagerte in zwei Gruppen. Im Lager der Regensberger, wo auch die edle „Meysin“ zu finden war, ging es hoch her. Der Junker Meiss aber sass mit seinen Hunden recht trübselig am Strassenrand beim Lokenbrünneli. Da kam von Witikon her ein Reitertrupp; voran ritt ein junger Mann auf einem prächtigen Schimmel. Beim Brunnen stieg einer der Reiter vom Pferd und reichte sie ehrfürchtig dem Manne, der den Schimmel ritt. Junker Meiss erkannte, dass er gar vornehme Herren vor sich habe und lud die Fremden ein, mit ihm zur Gesellschaft weiter vorn am Waldrand zu kommen. Der Reiter aber bedankte sich nur und fragte, wer wohl die Frau sei, die sich dort mit den Jägern lustig mache. Als der Junker Meiss Bescheid gab, schaute ihm der Reiter ins Gesicht und sprach dann: „Das ist nicht gut, wenn die Frau mit den Jägern den Wein trinkt und der Mann mit den Hunden das Wasser. Mir scheint, das Wasser sei nicht nur aus dem Brunnen, sondern auch aus Eueren Augen. Das sollte nicht sein; Gott bessere es und gebe Euch Geduld.“
Als dann die Reiter beim fröhlichen Teil der Gesellschaft vorbeikamen, erkundigten sich die Regensburger bei einem der Begleitmannen und erfuhren, dass der Mann auf dem Schimmel der König Balduin aus Jerusalem sei, der im Kloster Seedorf Heilung vom Aussatz gefunden habe und nun dem Bischof von Konstanz einen Besuch machen wolle.
Da kam gerade ein armes Fraueli mit einer Bürde Holz aus dem Wald. Es vernahm, dass der König Balduin unter den Reitern sei und kniete nieder, um seinen Segen zu empfangen. Auch die Frau des Junkers Meiss kniete vor dem König und bat um seinen Segen. Er aber schaute sie nur an und sagte: „Wie mag ein Samenkörnlein Wurzel fassen, das auf einen Felsen gesät wird? Wie mag mein Segen einem Weibe zugute kommen, das in Lust und Freuden leben mag, während dein Ehemann traurig und voll Kummer ist?“ Damit ritt er davon.
Seine Worte hatten die stolze Frau getroffen. Sie fing ein anderes Leben an und wurde von dem Tage an eine Helferin der Armen, Trösterin der Kranken. Sie soll auch viel beigetragen haben zum Bau des Kloster Gfenn bei Dübendorf‚ das von König Balduin noch am Tage der Begegnung gestiftet wurde.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Stadt Zürich und Zürichsee
Wörtlich nach Max Schreck, Witikon, Festschrift zur Einweihung des neuen Schulhauses, 1934.
„Loken“, das bisher romantischerweise mit dem germ. Gotte Loki in Zusammenhang gebracht wurde, ist einfach zu erklären. Id. 3, 1232 weist eindeutig daraufhin, dass Looggen oder Loken Sumpfstellen sind, was in der Nähe einer Quelle leicht verständlich ist.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.