Das "Grääggi" ist ein Gespenst, das in den verschiedensten Gestalten, insbesondere aber in derjenigen eines gefüllten Laubsackes, eines Krattens, eines Tiers etc. erscheint und immer nur bei Nacht seine Ausflüge macht. Oft, wenn es in seinen Lieblingsrevieren, in Hohlgassen, Holzriesen, Waldlichtungen oder Nachrunsen eilig dahinrauscht, kann der erschrockene Wanderer, der ihm begegnet, von dessen Gestalt nichts deutlich sehen als etwa die Augen, welche aussehen wie zwei glühende Köhlchen. Wird es auf seiner Wanderung geneckt oder gestört, so klappert und rasselt und schreit es in so schauerlicher Weise, dass es einem durch Mark und Bein geht. In Ragaz und Pfäfers hält es sich gerne am Fluppabach auf und wird daher dort "Bachgschrei" genannt, während es in Vilters "Bachgrääggi", in der Gegend des Walensees "Gwääggi" oder "Borzi" und im Rheinta! "Wüetihöö" heisst. In diesem Spukwesen ist auch der "wilde Jäger" der Deutschen und der "Türst" der Entlibucher zu erkennen. Einst ging Schuster P. G. mitten in der Nacht von Plons, wo er "Stubeti" hatte, nach Hause. Im Walde zwischen dem Valmajus und der Rotzheldjschlucht sah er einen grossen Kratten im Wege stehen. Er ging neugierig auf denselben zu und gab ihm einen kleinen Stoss mit dem Fuss; da kollerte der vermeintliche Kratten unter heftigem Rauschen und Krachen, wie wenn alle Stauden und Bäume umgebrochen würden, durch den Wald hinunter, bald weinend wie ein Kind, bald schreiend wie eine Sau und endlich in ein schallendes Hohngelächter ausbrechend.
Dem Schuster standen vor Schrecken die Haare in die Höhe, und er musste hernach mehrere Tage lang das Bett hüten.
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Bannwart C. J. begab sich eines Abends auf den Rebhügel im Valmajus, um den Füchsen aufzulauern, und vernahm dann bald ein Geräusch von der gegenüberliegenden, bewaldeten Berghalde Ofenholz her, wie wenn jemand Holz herabriesen würde. Er vermutete, dass Holzfrevler hiennt beschäftigt seien und dass die Diebe mit dem Geraubten unten beim Waldrande auf die Wiese herauskommen werden. Schien es aber, dass sie unten angekommen seien, fing es alsogleich wieder von oben her zu rauschen an, und so wiederholte sich der Spektakel, bis ihm die Sache sonderbar vorkam und er sich endlich entschloss, nach dem verdächtigen Riese hinüberzuschiessen. Auf den Schuss flog an besagtem Orte ein ungemein grosser Vogel auf und dem Plonserfelde zu. Der Spuk war aus.
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Ein Bergbewohner hörte einmal in seiner Nähe ein "Grääggi", und er rief ihm zui "Du utaufte Kogä, mach as fortchunst!" worauf ihm dasselbe erwiderte: "I bin besser tauft as du; i heissä Matlin, Matlin!" (Magdalena).
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Nachschrift. Ungläubige behaupten, die dato bei uns sehr selten gewordene grosse Ohreule stöbere an beschriebenen Örtlichkeiten kleinere Tiere zu ihrer Nahrung auf und spiele dabei die Rolle des "Grääggi"; ein Jäger habe einst einen solchen Rumorer auf der Tat getroffen und erschossen.
J. Natsch
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Es wäre unnütz, für all das Einschlägige, das überall erzählt wird, glaubwürdige Erklärungen geben zu wollen. Wind und Wetter, Mensch und Tier machen sich in der dunklen Nacht in der einsamen Bergwelt oft auf so sonderbare Weise bemerkbar, dass der Glaube an übernatürliche Spukgestalten nahe liegt. Sicher aber ist, dass die Furcht manches sieht und hört, was dem mutigen Zweifler bald genug ein helles Lachen entlockt.
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 283, S. 156f
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.