Die Nixe des Hüttensees
In dem zürcherischen Dorfe Hütten lebte einmal eis schöner Jüngling mit dunklem Haar, aber hellen, blauen Augen und frischem Mund. Er war der schönste und beste Knabe weit und breit, und wo er auf der Kilbi erschien, wünschte ihn jedes Mädchen zum Tänzer und noch viel lieber zum Gatten für das ganze Leben. Der Jüngling aber achtete der schönsten und reichsten Mädchen nicht; ernst und gleichgültig wechselte er Tänzerin um Tänzerin. Die Nixe im Hüttensee war ihm im Traume erschienen, und so schön wie sie war keines der Mädchen der Gegend; sie liebe er, die er doch niemals zu sehen und zu gewinnen hoffte. So oft er konnte, warf er sich in sein aus einem mächtigen Eichenstamm gezimmertes Schiffchen und ruderte auf dem kleinen Gewässer hin und her.
Als er einmal so das Boot auf dem glatten Spiegel hintreiben liess, ergriff er plötzlich eine weisse Rose, welche er an seiner Brust trug, und warf sie als Liebespfand in den See. Da teilten sich die Wellen in der Nähe des Bootes, und ein schönes Mädchen im leichten grünlichen Gewande der Nixen stieg empor. Es öffnete die Arme und rief mit der wohllautendsten Stimme: „Komm hinab zur Braut in die Flut!“ Freudig sprang der Jüngling in den See, und die Wellen schlossen sich sanft murmelnd über seinem Haupte. Man sah ihn nie wieder, und nie fand man seinen Leichnam. Der See aber, in den er die weisse Rose geworfen hatte, bedeckte sich fortan jeden Sommer mit weissen Seerosen, welche aus dem Garten des Nixenschlosses emporwuchsen.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Stadt Zürich und Zürichsee
Herzog II, S. 99, Nr. 101
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.