Vorzeiten kam ein einfach gekleideter Mann in hellem Kittel und breitkämpigem Hute alljährlich nach Vermol und kehrte da bei dem Bauersmann L. Pfiffner auf dem Nesenberge ein. Von hier aus durchwanderte und durchstöberte er die Gebirgswelt und brachte dann bei Beendigung seines Ausfluges jedesmal ein schwergefülltes Säcklein mit zurück.
Dieses musste ihm nachher der Sohn des Hauses, Johann, ins ebene Land hinabtragen. Bei einem solchen Anlasse sagte endlich einmal der Fremde zum Knaben: "Ich komme nun vielleicht nie wieder in diese Gegend. Zum Lohn und Dank für die mir geleisteten Dienste will ich dir und den Deinigen zu Wohlstand verhelfen, wenn du auch noch etwas dazu beiträgst. Es ist nun Abend geworden, auf deinem Heimwege wird dir ein Lichtlein vorangehen und dir eine Stelle weisen, wo du jährlich einmal eine schöne Menge Goldes finden kannst; halte dich aber hübsch ruhig und schaue niemals zurück, mag es hinter dir zugehen, wie es will; übrigens will ich dir noch etwas mit heimzunehmen geben."
Hierauf nahm der Fremde den "Dreiböhri" oder Dreizipfelhut des Trägers, breitete ihn hübsch auseinander, füllte ihn mit Gegenständen aus dem schweren Sacklein, band ihn fest und verabschiedete sich sodann vom Vermöler, indem er diesem gleichzeitig noch den ziemlich schwer gewordenen Hut überreichte.
Auf dem Heimwege ging dem Knaben wirklich ein Lichtlein voran bis zur Höhe, wo in der Nähe von Vermol das grosse, hölzerne Kreuz am Wege steht; dort schwenkte es ins Tobel hinab, der Nasclawand zu. Der Vermöler wollte dem Lichte unter den Weg hinab nachgehen, hörte aber plötzlich hinter seinem Rücken ein so erbärmliches Katzengeschrei, dass er sich nicht mehr enthalten konnte, zurückzuschauen, seinen Stecken zu erheben und auszurufen: "Ich will öüh grab hälfä, ihr wüöstä Chätzärä!"
Sogleich waren Geschrei und Lichtlein verschwunden, und es war unterdessen auch der gefüllte Hut ordentlich leicht geworden. Der Vermöler begriff, dass er nun den ihm verheissenen Reichtum verscherzt habe; er öffnete den Hut und fand nichts mehr als Laub darin, welches er im Jörne mit sammt dem Hut ins Tobel warf.
Er vermutete, dass der fremde Mann ein Venediger sei und in den Gebirgen Gold gesammelt habe, hielt aber sein gehabtes Missgeschick geheim, damit er nicht verlacht werde. Der Fremde muss es nachher gewusst haben, dass das Goldnest von Pfiffner nicht entdeckt worden sei; denn er kam noch mehrere Jahre nacheinander, kehrte aber nie mehr bei diesem ein, sondern bei Anton Schuhmacher, neben der Kapelle in Vermol.
Einmal sagte er auch zu dieser Familie, nun sei er reich genug und zum letzten Male hier. An einer Felswand beim Balärentobel stiesse alle Jahre ein Klumpen Gold heraus so groß wie eine Ouartkanne, welchen fürderhin jemand aus dieser Familie zu eigener Verwendung für diese holen könne, sofern sich etwa ein Sohn aus derselben gehörig dazu unterweisen lasse.
Die Familie nahm den Antrag mit Freuden an, und Jakob zog dann mit dem fremden Manne in das benannte Tobel, an den Seezbach hinab. Hier zog der Fremde aus der mitgebrachten Reisetasche eine papierene Leiter hervor, warf das eine Ende derselben an eine zerklüftete Stelle der Nasclawand hinauf, wo einige Gesträuchstumpen aus dem Felsen hervorschauten, und sprach dann zu Jakob: "Steige nun da hinauf, halte dich ruhig und schaue nicht zurück, es mag unter dir zugehen, wie es will; Leides kann dir nicht geschehen. Droben angelangt, kannst du dann den Goldklumpen mit leichter Mühe wegbrechen." Nun machte sich Jakob ans Klettern, kam endlich trotz des höllischen Spektakels, das unter und neben ihm auf die schauerlichste Art sich kund gab, oben an und wollte schon nach dem Golde langen, als er dicht unter sich einen entsetzlichen Schrei von einem fürchterlich stinkenden Geissbocke vernahm und zurückschaute. Jetzt war aller Spuk vorbei, und Jakob befand sich wieder am Boden. Der Fremde bedauerte dessen Schwachheit, holte nun das Gold selbst, gab jenem noch eine reiche Vergütung zu Händen der Eltern und zog hierauf von dannen, um nie wieder zu kommen.
Jakob erzählte zu Hause, wie es ihm ergangen sei, und wurde dafür tüchtig ausgeschimpft. Dieser Vorfall hatte anhaltende Zwistigkeiten in der Familie zur Folge, so dass Jakob endlich aus Überdruss in venetianischen Kriegsdienst trat. Sein Bruder Christian folgte ihm bald nach, starb aber nach kurzer Zeit vor Heimweh. Jakob meinte hernach, es könnte ihm auch so ergehen, und desertierte deshalb. Er wurde aber eingeholt, gefangen und in einen Bleikeller eingekerkert.
Höchst betrübt sagte er hier eines Tages so vor sich hin:
"Hüt isch St. Agathatag,
Wo d' Sunnä überd's Melsertobel mag."
Ein vor der Türe stehender Kerkermeister hatte dieses gehört und es einem Vorgesetzten der Stadt hinterbracht.
Bald darauf wurde der Deserteur aus dem Kerker abgeführt, er meinte zum Tode. Man führte ihn aber in einen prachtvollen Palast, dessen Wände von Gold und Kristall und dessen Fussböden aus eingelegten Talern verfertigt zu sein schienen.
Ein reichgekleideter Herr fragte ihn, wer er sei, worauf er bekannte, dass er ein Jakob Schuhmacher von Vermol sei; er habe aus dem Dienste laufen wollen, damit er nicht auch vor Heimweh sterben müsse wie sein Bruder. Auf dies begab sich der Herr in ein Nebenzimmer, zog da eine ganz geringe Kleidung an, stellte sich dann in dieser vor den Schweizer mit der Frage, ob er ihn nun kenne. Der Befragte erkannte in ihm jenen Mann, der in den Gebirgen des Seeztales Gold gesammelt hatte, worauf der Herr weiter sprach: "Da du ein so unwiderstehliches Verlangen darnach trägst, in deine Heimat zurückzukehren, so will ich dir dazu verhelfen; und damit du sehen kannst, was die Deinigen gegenwärtig zu Hause machen, so blicke nur in diesen Bergspiegel, den ich dir hier vorhalte." Schuhmacher sah in dem Spiegel, wie seine Eltern und Geschwister um den Stubentisch herumsaßen und ein Milchmus verspeisten. Nachher wurde er noch köstlich bewirtet, bei einbrechender Nacht aber vor dem Palaste rückwärts auf einen schwarzen Ziegenbock gesetzt und von dem Tier, wie er meinte, durch die Lüfte fortgetragen.
In der Frühe des kommenden Morgens befand sich Soldat Schuhmacher in seiner Uniform, jedoch ohne den Ziegenbock, am Fusse seines heimatlichen Berges, unten an der Nurggasse des Nidbergs.
Bevor er berganstieg, besuchte er aus Dankbarkeit für seine glückliche Heimkunft noch den Pfarrgottesdienst zu Mels, wo zufällig und wegen irrigen Berichten gerade für ihn selbst anstatt für seinen in Venedig verstorbenen Bruder Christian eine Beerdigungsfeier abgehalten wurde.
Seine anwesenden Verwandten empfingen ihn nach dem Gottesdienste voll Freude und Erstaunen wie einen, der ihnen aus dem Jenseits wieder zurückgegeben worden wäre.
I. Natsch
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Man hat später erfahren, dass der Venediger auch anf dem Ninkenberg, zu Weisstannen, an einem Felsen Gold gefunden habe und dass der Bauer, der ihm dabei behilflich gewesen, infolgedessen vermöglich geworden sei. Es ist das Eigentümliche der Sage, - das Bestrickende und damit das Gefährliche! - dass sie auf Glaubwürdigkeit Anspruch macht, indem sie nicht nur den Ort, wo etwas geschehen sein soll, ganz genau bestimmt, sie weiss auch die handelnden Persönlichkeiten mit Tauf- und Geschlechtsnamen zu nennen. In den Bezirken Sargans und Werdenberg geschieht das noch so häufig, was uns anzeigt, wie ungemein sagenkräftig das st. gallische Oberland heute noch ist. In vielen Fällen zwangen uns naheliegende Rücksichten, solche Namen herauszustreichen, wie leid uns dies tat. Wer den alten Sagenerzählern noch selber gelauscht hat, der weiss die Poesie herauszuschälen, die in all dem wunderbaren Schnickschnack liegt, und erschreckt auch nicht, wo für einen Beweis deren hundert erbracht werden. Der Erzähler selbst will überall dabei gewesen sein, oder er hat doch die Leute gekannt, die mitbeteiligt waren. Aber der Kern des Erzählten blieb immer ein und derselbe, und so ging er mit allen Zutaten von Mund zu Mund. Der Sagenerzähler sang zum Volk, wie der Minnesänger zum Hofstaat, freilich in anderer Form und darum mit einer viel nachhaltigeren Wirkung; das schlüpfrige Lied ist verklungen, die Sage besteht fort.
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 257, S. 135ff
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.