Ein Knabe hütete auf dem Tiergarten die Ziegen. Da erblickte er an einem Felsen eine Türe, welche er öffnete. Innert derselben gewahrte er einen herrlichen Saal und in demselben einen grossen, runden Tisch, um den mehrere Herren sassen und schliefen. Einer davon hatte einen langen, schneeweissen Bart, der um den Tisch herumgewachsen war. Die Männer fragten den Knaben, wie weit die Zeit vorgeschritten sei. Der Geissbub aber machte sich so schnell als möglich aus dem Staube und konnte später diese Türe nie mehr finden.
Was die geheimnisvolle Musik auf dem Tiergarten anbelangt, so hat der Schreiber dieses selbst die eigentümliche Wahrnehmung gemacht, dass das Anschlagen eines leichten Windes an den zerklüfteten Felsen auf der Westseite des Hügels in Verbindung etwa mit dem fernen Rauschen der Wasserfälle vom Meilen- oder Sarbache eine liebliche und deutlich vernehmbare Musik wie von einer Orgel oder Äolsharfe zu stände bringen. Übrigens haben früher auch gar oft Zigeunerbanden unter den überhängenden Felsen am Fusse des Hügels gelagert und ganze Nächte hindurch Musik und Tanz gehalten. Dieselben trieben bisweilen den Mutwillen so weit, daß sie vom nahen Gebüsche Zweige von Sträuchern in dünnen Kuchenteig herabbogen, diesen daran buken und hernach in die Höhe schnellen und an den Sträuchern hängen ließen zum Ärger der von diesem Gesindel allerwege gebrandschatzten Bevölkerung der Umgegend.
I. Natsch.
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 254, S. 134f
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.